Assassino
Gedanken, ob das, was ich tue, richtig ist. Aber am Ende siegt der Gehorsam, den man mir beigebracht hat. Ich beschließe, diesen Auftrag noch auszuführen, und dann, wenn ich ihn überleben sollte, Navid aufzusuchen, um mir bei ihm Rat zu holen.
Ich erreiche Tiflis gegen Ende des Sommers. Über der Stadt ragt die Burg auf, in der die Königin mit ihrem Gefolge herrscht. Ich trete in einen Gasthof, wo ich den Leuten zuhöre. Niemand bemerkt mich. Das ist auch eine der Künste, die wir in Alamut gelernt haben, dieses Verschmelzen mit dem Hintergrund, das Nicht-Auffallen. Selbst wenn ich mit jemandem rede, vergisst er mich meistens kurz darauf wieder.
Ein Geschichtenerzähler berichtet von den Heldentaten Tamars. Die Gäste lauschen ihm gebannt und brechen anschließendin Hochrufe auf ihre Königin aus. Der Mann sammelt die Münzen ein, die vor ihn auf den Boden geworfen werden, bestellt einen Krug Wein und setzt sich an einen Tisch. Ich warte kurz, dann begebe ich mich zu ihm.
»Du kannst sehr gut vortragen«, lobe ich ihn.
»Ich danke dir für deine Worte«, sagt er.
»Ist die Königin wirklich so tapfer, wie du sagst?«
»Du bist neu in der Stadt, was?«, grinst er. »Tamars Mut ist eine Legende. Sie hat sich gegen die Fürsten durchgesetzt, die sie stürzen wollten, und gegen ihre Tante Rusudan, die selbst die Macht in den Händen halten wollte. Sie ist eine Adlige, und doch hat sie keine Scheu vor dem einfachen Volk. Sie ist gerecht und großmütig.«
»Aber ist sie denn keine Hexe?«, frage ich.
Der Erzähler lacht. »Man merkt, dass du nicht von hier bist, Kleiner. Wenn jemand eine Hexe ist, dann Rusudan. Tamar braucht keine Hexerei, um zu herrschen. Willst du noch mehr hören?«
»Nein, danke«, sage ich und schiebe ihm eine Münze über den Tisch. Ich verlasse den Gasthof und suche mir ein einfaches Nachtlager.
Die folgenden Tage streife ich durch die ganze Stadt und besuche auch die Burg, in die man erstaunlich leicht gelangen kann. Tamar scheint wirklich keinen Anschlag zu fürchten. Einmal sehe ich die Königin, wie sie mit ihrem Mann, Dawit Soslani, einen Ausritt unternimmt, und ihre stolze und doch natürliche Haltung flößt mir Respekt ein. Das Volk jubelt ihr ausgelassen zu, und erneut frage ich mich, warum ich sie töten soll. Und wieder einmal höre ich Navids Stimme inmeinem Kopf: »Du kämpfst nicht für Gott, sondern lediglich für Gold.«
Aber ich habe meinen Entschluss gefasst.
Es ist ein Werktag, als ich die Burg betrete, so wie viele andere auch. Der König ist vor zwei Tagen in seine Heimat gereist und wird vorerst nicht zurückkommen. Die Königin ist allein. Das heißt, nicht ganz: Ihre Kiptschak-Leibwachen sind stets in ihrer Nähe, und man sagt, sie seien unüberwindbar. In Tiflis habe ich meine Kleidung gewechselt und sehe jetzt aus wie ein normaler georgischer Handwerker.
Im großen Burghof vor dem Palast herrscht ein emsiges Treiben. Viehhändler treiben Schweine und Ochsen zu den Ställen, Schreiner arbeiten vor ihren Werkstätten an Möbeln, Schneider und Tuchhändler bieten den Damen des Hofes ihre Stoffe feil, Bäckerjungen schleppen Körbe mit Broten in den Palast, Bauern bringen Karren mit Kartoffeln, Obst und anderen Früchten.
Ich blicke auf zu den elegant geschnitzten Balkonen, die sich aus dem grauen Stein des Palastes herauswölben. Ab und zu huscht eine Hofdame mit Wäsche oder Kleidungsstücken vorbei. Die Gemächer der Königin müssen sich also dort in der Nähe befinden.
Das Eingangstor zum Palast wird von zwei schwer bewaffneten Kiptschaks bewacht, deren Mienen verheißen, dass mit ihnen nicht gut Kirschen essen ist. Auch die Zugänge zur Küche und der Dienstboteneingang stehen unter Bewachung. Ich muss mir also einen anderen Weg suchen.
Direkt neben mir hat ein Müller seinen Karren angehalten. Er ist nicht mehr der Jüngste, und ächzend versucht er,sich einen der schweren Säcke mit Mehl auf den Rücken zu laden. Ich biete ihm meine Hilfe an. Er nickt dankbar, und kurz darauf passiere ich ohne Probleme die Wachen an der Küchentür.
Nachdem ich alle vier Säcke in die Vorratskammer geschleppt habe, tauche ich unauffällig in dem Menschengewühl unter, das im Küchentrakt herrscht. Jetzt muss ich nur noch den Weg zu Tamar finden.
Wieder kommt mir der Zufall zu Hilfe. Ein Diener, der mich offenbar für einen Küchengehilfen hält, beordert mich mit einem halben Dutzend anderer Jungen zu einem Tisch, auf dem eine Reihe Tabletts mit metallenen Glocken
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