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Assassino

Assassino

Titel: Assassino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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darauf steht. Jeder von uns ergreift eines der Servierbretter und wir folgen dem Diener im Gänsemarsch in den Palast.
    In einem großen Saal sitzen etliche Edelleute und ihre Damen. Der Tisch am Kopfende, der dem Königspaar vorbehalten ist, ist unbesetzt. Wir stellen die Tabletts vor den Gästen ab und marschieren zurück zur Küche. Ich lasse mich etwas zurückfallen und drücke mich in den ersten Nebengang, den wir passieren. Nachdem ich einige Minuten gewartet habe, ob mein Verschwinden auch nicht bemerkt wird, laufe ich die erste Treppe, auf die ich stoße, empor. Ich stehe in einem Gang hinter dem Holzbalkon, den ich vom Burghof aus gesehen habe. Eine Tür geht, und ich springe über eine Brüstung auf den Balkon, von wo aus ich vorsichtig in den Gang spähe. Eine Zofe tritt aus einem Zimmer, ein paar Frauenkleider über dem Arm. Ich warte, bis sie verschwunden ist, und nähere mich dann der Tür. Leise ziehe ich sie auf und schlüpfe in den Raum dahinter.
    Dicke Teppiche bedecken den Boden, und die Wände sind mit Bärenfellen geschmückt. Auf einem runden Tisch steht ein Tablett mit Frühstücksresten. Aus einem Nebenraum höre ich das Lachen einer Frau.
    Mit ein paar Schritten durchquere ich den Raum bis zur Türöffnung, aus der ich das Geräusch gehört habe. Aus der Tasche ziehe ich einen kleinen, aus poliertem Silber gefertigten Klappspiegel, gehe in die Hocke und strecke ihn vorsichtig aus. Er zeigt mir das Bild einer Frau in einem langen, moosgrünen Gewand, die auf einem Stuhl sitzt. Hinter ihr steht eine Zofe und flicht ihr das Haar.
    Ich stecke den Spiegel ein und mache mich bereit. Das Messer liegt in meiner Hand. Noch ein paar Sekunden und meine Mission ist erfüllt.
    Ich atme einmal durch und schnelle dann in den Raum.
    Doch anstatt in zwei Schritten bei der Königin zu sein und ihr den Dolch ins Herz zu stoßen, taucht wie aus dem Nichts ein Speer vor meinen Beinen auf und bringt mich zu Fall. Ich will abrollen und aufspringen, doch im Nu bin ich von drei Männern umringt, die ihre Schwerter auf mich richten. Der älteste von ihnen, wie die anderen ein Kiptschak, tritt mir das Messer aus der Hand.
    »Wir beobachten dich schon, seit du den Speisesaal verlassen hast, du Hund! Wer schickt dich?«
    Ich antworte nicht. Er tritt mich in die Seite. »Wir bringen dich noch zum Reden.« Zwei seiner Männer reißen mich hoch und durchsuchen mich.
    »Ausziehen!«, kommandiert er. Ich entledige mich meiner Kleidung, und nackt stoßen sie mich in den Vorraum zurück.Tamar ist dem Vorgang schweigend gefolgt, und als ich ihr Gemach verlasse, sehe ich bei einem kurzen Blick in ihre grauen Augen mein Schicksal.
    Die Kiptschaks schleppen mich nach unten und in den Keller. Dann geht es weiter durch endlose Tunnel, die in den Fels unter dem Palast gehackt worden sind, tiefer und immer tiefer. Der beißende Rauch der ölgetränkten Fackeln brennt in meinen Augen. Wir halten vor einer niedrigen Holztür und einer der Soldaten stößt sie mit dem Fuß auf. Dahinter liegt ein dunkler Verschlag, der nur aus nacktem Stein besteht. Sie stoßen mich hinein und die Tür schließt sich mit einem Krachen hinter mir.
    Wie lange ich in der Dunkelheit verbringe, weiß ich nicht. Man stellt mir einen Krug mit fauligem Wasser in die Zelle, aber kein Essen. Hier unten ist es kalt und ich rolle mich zum Schlafen in einer Ecke zusammen. Wenn ich wach bin, mache ich Körperübungen, um mich warm zu halten. Ich spüre, wie ich schwächer werde.
    Wieder sind es Kiptschaks, die mich holen, und erneut betrete ich die Gemächer der Königin. Diesmal ist sie gekleidet wie ein Mann, in weite Hosen und ein türkisfarbenes Hemd mit Ballonärmeln. Ihr schwarzes Haar ist im Nacken zusammengesteckt. Zum ersten Mal kann ich in Ruhe das Gesicht dieser Frau studieren, die von ihrem Volk so geliebt wird.
    Ihre Züge sind ebenmäßig, ihr Mund ist voll und wohlgeformt und über den hohen Wangenknochen mustern mich zwei unergründliche Augen. Ihr ganzer Ausdruck ist der einer Frau, die in sich ruht und selbstbewusst genug ist, den Kriegern in ihrer Umgebung zu befehlen.
    Außer uns und den Soldaten sind noch zwei Männer im Raum, von denen einer unschwer als Hofmagier zu erkennen ist. Der andere ist jener Diener, der mich in der Palastküche angeheuert hat.
    Was für eine Ungeheuerlichkeit! Was ist der König für ein Mann, dass er seiner Frau solch ein Verhalten durchgehen lässt? Es kann nur Zauberei sein, mit der sie das Volk und auch die Menschen

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