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Assassino

Assassino

Titel: Assassino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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zusammen und schließt die Augen. »Ich sehe dich noch vor mir, wie du dich damals vor mir verstecken wolltest in deinem kleinen Dorf, in dem du nie mehr geworden wärst als ein Herbergswirt, der vor den Gästen dienert.« Er schlägt die Augen auf und richtet einen Finger auf mich. »Und schau, was nun aus dir geworden ist. Ein Kämpfer für die göttliche Gerechtigkeit, der sich vor niemandem beugt außer vor seinem Herrn und dessen Imam.«
    Ich neige den Kopf. »Ich danke dir, oh Dai, dass du mir die Gelegenheit gegeben hast, mich des Imams würdig zu erweisen.«
    Dai Ibrahim schiebt die Teegläser beiseite. »Und weil das so ist, hat der Imam beschlossen, dich auf eine ganz besonders wichtige Mission zu entsenden.« Er greift in seine Gewänder und holt eine Pergamentrolle hervor, die er auf dem Tischvor mir ausbreitet. Darauf ist eine Karte gezeichnet. Während unserer Ausbildung haben wir gelernt, was Landkarten sind und wie man sie liest.
    Der Dai deutet mit seinem Finger auf einen Punkt.
    »Hier, an dieser Stelle befindet sich Alamut. Und hier«–   er zeigt auf eine andere Stelle   –»liegt Tiflis, die Hauptstadt des Königreichs Georgien. Dorthin wird dich deine nächste Mission führen. Im Palast regiert kein König, wie es sich gehört, sondern eine Frau. Ihr Name ist Tamar, und es hat bereits mehrere Versuche gegeben, sie zu stürzen und die natürliche Ordnung der Dinge wiederherzustellen. Aber Tamar ist eine Hexe und sie hat bislang jeden Anschlag auf ihre Herrschaft überlebt.«
    Er rollt die Karte zusammen. »Du hast den ehrenvollen Auftrag, Tamar zu töten.«
    »Warum, ehrwürdiger Dai?«, entfährt es mir.
    Der Alte hält mitten in der Bewegung inne. Für einen Moment ist er sprachlos, bevor sich eine tiefe Zornesfalte über seiner Nasenwurzel bildet. Er wirft die Karte achtlos auf den Tisch, springt auf und packt mich bei der Schulter. Seine Finger bohren sich mit erstaunlicher Kraft in mein Fleisch.
    »Wie kannst du es wagen, eine solche Frage zu stellen?! Wer bist du, dass du dir herausnimmst, die Entscheidung des Imams anzuzweifeln? Haben wir uns getäuscht und eine Natter an unserer Brust gezüchtet?«
    Dabei schüttelt er mich hin und her. Was ist in mich gefahren, dass ich ihn nach Gründen für einen Auftrag gefragt habe? Haben sich Navids Worte so tief in mein Gehirn hereingewunden?
    Dai Ibrahim lässt mich los und verpasst mir eine Ohrfeige, die meinen Kopf zur Seite schleudert und meine linke Gesichtshälfte zum Brennen bringt. Dann lässt er sich zurück auf sein Kissen fallen.
    »Dieses eine Mal will ich dir noch vergeben«, sagt er. »Du hast deine Treue mehrmals unter Beweis gestellt, das spricht für dich. Aber dennoch hast du Zweifel. Und ein Fedajin, der Zweifel hat, ist kein Fedajin.«
    »Vergib mir, oh Dai.« Ich falle auf meine Knie und drücke meine Stirn gegen den Boden. »Es war ein Moment der Schwäche. Ich wollte nichts infrage stellen, es war lediglich die Neugier   … «
    »Die Neugier? Hat man dich nicht Geduld gelehrt?«
    »Doch, oh Herr. Verzeiht mir.«
    Er mustert mich mit prüfendem Blick. Dann entspannen sich seine Züge. Er rollt die Karte ein und gibt sie mir.
    »Nun gut. Präg dir die Route gut ein. Dai Peyman wird dich ab morgen in Georgisch unterrichten. Es ist nicht schwer, nur eine kleine Abwandlung unserer Sprache. Aber nützlich, wenn man es beherrscht.«
    Er wedelt mit der Hand, und ich bin entlassen.
    4.
    Es ist eine lange Reise nach Tiflis. Ich schließe mich verschiedenen Karawanen an, die an den Ufern des Kaspisees entlangziehen. Meistens gebe ich mich als Student der Astronomie aus, der nach einem neuen Meister sucht. So bezahlenmir viele Kaufleute mein Essen, denn sie wissen, dass Studenten wenig oder kein Geld haben.
    Auf dem Weg habe ich genügend Zeit zum Nachdenken. Navids Worte, dass wir bezahlte Meuchelmörder sind, gehen mir nicht aus dem Kopf. Was ist, wenn er recht hat? Opfere ich mein Leben für einen Beutel mit Goldstücken? Bekomme ich vielleicht gar nicht den Platz im Paradies, den uns der Imam für den Fall unseres Todes versprochen hat?
    Ob Navid wohl inzwischen die Heimat erreicht hat? Und: Heimat, was heißt das überhaupt? Ich kann mir darunter nichts vorstellen. Natürlich weiß ich, wo ich hergekommen bin, aber es ist kein Gefühl damit verbunden. Selbst die Rachegefühle gegenüber Farzin, auf dessen Anweisung Aschkan und ich das Dorf verlassen mussten, sind im Laufe der Zeit verblasst.
    Nacht für Nacht quälen mich die

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