Assassin's Creed Bd. 5 - Forsaken - Verlassen
besorgte Geistliche vor mir standen. Keiner von beiden war bewaffnet, aber selbst wenn, ich hätte mir zugetraut, es mit allen vieren aufzunehmen. Wenn es dazu käme.
„Das sehe ich“, erwiderte ich. „John hat mir gerade gesagt, wie sehr mein Besuch ihn überrascht.“
„Allerdings. Ihr wart sehr leichtsinnig, Haytham …“
„Mag sein, aber ich wollte mich vergewissern, dass man sich gut um Lucio kümmert. Und nun erfahre ich, dass er als Gefangener hier ist – das sagt ja wohl alles.“
Reginald lachte leise. „Was habt Ihr denn erwartet?“
„Was mir versichert wurde. Dass es Ziel der Mission sei, Mutter und Sohn wieder zusammenzuführen. Dass die Code-Expertin sich bereit erklärt hatte, an Vedomirs Tagebuch zu arbeiten, wenn es uns gelänge, ihren Sohn vor den Rebellen zu retten.“
„Ich habe Euch keine Lügen erzählt, Haytham. Seit Lucio bei uns ist, arbeitet Monica tatsächlich an der Entschlüsselung des Tagebuchs.“
„Nur nicht unter den Umständen, die ich mir vorgestellt habe.“
„Wenn es mit der Karotte nicht klappt, benutzen wir den Stock“, sagte Reginald mit kalten Augen. „Es tut mir leid, wenn Ihr dachtet, wir würden uns mehr auf die Karotte als auf den Stock verlassen.“
„Ich möchte sie sehen“, sagte ich, und Reginald willigte mit einem knappen Nicken ein. Er drehte sich um und führte uns durch die Tür, hinter der eine steinerne Treppe nach unten ging. Licht flackerte über die Wände.
„Was das Tagebuch angeht, sind wir inzwischen dicht dran, Haytham“, erläuterte Reginald auf dem Weg nach unten. „Bis jetzt haben wir herausgefunden, dass es ein Amulett gibt. Das passt irgendwie zu dem Lagerhaus. Wenn wir das Amulett in unseren Besitz brächten …“
Am Fuß der Treppe erhellten Fackeln, die auf Pfählen steckten, den Weg zu einer Tür, vor der eine Wache stand. Der Mann trat beiseite und öffnete die Tür, damit wir sie passieren konnten. Der Keller dahinter sah noch so aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Unruhiges Fackellicht erfüllte den Raum. An einem Ende stand ein Schreibtisch. Er war am Boden befestigt, Lucio hatte man daran festgekettet, und neben ihm war seine Mutter, die völlig fehl am Platze wirkte. Sie saß auf einem Stuhl, der aussah, als hätte man ihn allein zu diesem Zweck von oben in den Keller heruntergebracht. Sie trug lange Röcke und eine hoch geknöpfte Bluse und hätte wie eine Kirchgängerin ausgesehen, wären die rostigen Eisenschellen um ihre Handgelenke sowie die Armlehnen des Stuhls und vor allem das Knebeleisen um ihren Kopf nicht gewesen.
Lucio drehte sich auf seinem Stuhl herum, sah mich, und seine Augen loderten vor Hass, dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.
Ich war mitten im Raum stehen geblieben, auf halber Strecke zwischen der Tür und den Code-Experten. „Reginald, was hat das zu bedeuten?“, fragte ich und zeigte auf Lucios Mutter, die mich aus dem Knebeleisen heraus unheilvoll anstarrte.
„Das Knebeleisen ist nur ein vorläufiger Behelf, Haytham. Monica hat ihr Missfallen unseren Vorgehensweisen gegenüber heute Morgen etwas arg laut zum Ausdruck gebracht. Deshalb haben wir die beiden für heute hierher verlegt.“ Er hob die Stimme, weil die nächsten Worte Mutter und Sohn galten: „Morgen können sie gern in ihre gewohnte Unterkunft zurückkehren – wenn sie sich wieder auf ihre Manieren besinnen.“
„Das ist nicht richtig, Reginald.“
„Ihr eigentliches Quartier ist sehr viel angenehmer, Haytham“, versicherte er mir gereizt.
„Trotzdem, so sollten die beiden nicht behandelt werden.“
„Genauso wenig hättet Ihr im Schwarzwald das arme Kind nicht zu Tode ängstigen sollen, indem Ihr ihm das Schwert an die Kehle hieltet“, versetzte Reginald.
Ich zuckte zusammen, meine Lippen bewegten sich, aber ich fand kaum Worte. „Das war … das war …“
„Etwas anderes? Weil es um Eure Suche nach den Mördern Eures Vaters ging? Haytham …“ Er fasste mich am Ellbogen und führte mich aus dem Keller hinaus auf den Gang, wo wir die Treppe wieder hinaufstiegen. „Diese Sache ist noch wichtiger. Ihr mögt das nicht glauben, aber es ist so. Hier geht es um die Zukunft des gesamten Ordens.“
Ich war mir nicht mehr sicher. Ich war mir nicht mehr sicher, was wichtiger war, aber ich sagte nichts.
„Und was passiert, wenn das Tagebuch entschlüsselt ist?“, fragte ich, als wir wieder in der Eingangshalle anlangten.
Reginald sah mich an.
„Oh nein“, sagte ich, als ich begriff. „Keinem
Weitere Kostenlose Bücher