Assassin's Creed: Die Bruderschaft (German Edition)
niederkämpfte, das Ding kurzerhand zu nehmen und damit davonzulaufen, und er verstand auch, wie groß diese Versuchung für den universell interessierten und gebildeten Mann sein musste, dessen Wissensdurst ihn bisweilen zu überwältigen drohte und ihn nie zur Ruhe kommen ließ.
Ezio hielt den Apfel hoch, schloss die Augen und konzentrierte sich auf seine Gedanken, während er Fragen formulierte.
Der Apfel begann fast augenblicklich zu leuchten, und dann warf er auch schon Bilder an die Wand. Sie folgten dicht und schnell aufeinander und hielten sich nicht lange, aber Ezio – und nur Ezio – sah, wie Cesare aus seinem Kerker und Rom floh. Das war alles, bis die rudimentären Bilder auf der Wand miteinander verschmolzen und einen geschäftigen Hafen zeigten; das Wasser glänzte und glitzerte unter einer südlichen Sonne, und eine Flotte lag vor Anker. Die Vision löste sich auf, und dann erschien der Anblick einer fernen Burg oder vielleicht auch einer befestigten Bergstadt, von der Ezio irgendwie wusste, dass sie weit weg war. Der Landschaft und der Sonnenhitze nach zu schließen, lag dieses Bauwerk bestimmt nicht in einem der italienischen Kirchenstaaten. Auch die Architektur wirkte fremdländisch, aber weder Ezio noch Leonardo konnte sie einem Land zuordnen. Dann sah Ezio Marios Zitadelle in Monteriggioni, und das Bild bewegte und verschob sich, führte ihn in Marios geheimes Studierzimmer, ins Allerheiligste, wo die Kodexseiten zusammengetragen worden waren. Die geheime Tür dort hinein war geschlossen, und auf ihrer Außenseite konnte Ezio geheimnisvolle Zeichen und Buchstaben erkennen. Als Nächstes war ihm, als wäre er ein Adler, der über die Ruinen der einstigen Assassinen-Festung hinwegflog. Dann erlosch der Apfel übergangslos, und die Helligkeit im Raum rührte wieder nur vom hellen Sonnenlicht her.
„Er wird fliehen! Ich muss gehen!“ Ezio ließ den Apfel zurück in den Kasten fallen und stand so abrupt auf, dass sein Stuhl umkippte.
„Was ist mit Euren Freunden?“
„Die Bruderschaft muss mit oder ohne mich bestehen können. So habe ich sie aufgebaut.“ Ezio nahm den Apfel wieder aus der Kiste und steckte ihn in den Lederbeutel. „Verzeiht mir, Leo, ich darf keine Zeit verlieren!“ Die verborgene Klinge und seinen Armschutz hatte er bereits umgeschnallt, jetzt packte er die Pistole und Munition in seine Gürteltasche.
„Halt. So denkt doch erst einmal nach. Ihr müsst einen Plan fassen.“
„Mein Plan ist es, Cesare zu erledigen. Das hätte ich schon längst tun sollen.“
Leonardo breitete die Hände aus. „Ich sehe, dass ich Euch nicht aufhalten kann. Aber ich habe nicht vor, Rom zu verlassen, und Ihr wisst, wo mein Atelier ist.“
„Ich habe ein Geschenk für Euch“, sagte Ezio. Zwischen ihnen stand eine kleine Kassette auf dem Tisch. Ezio legte eine Hand darauf. „Hier.“
Leonardo erhob sich. „Wenn dies ein Abschied für immer ist, dann behaltet Euer Geld! Ich will es nicht.“
Ezio lächelte. „Natürlich ist das kein Abschied für immer, und natürlich wollt Ihr es. Ihr braucht es für Eure Arbeit. Nehmt es! Betrachtet mich als Euren Gönner, wenn Ihr möchtet, bis Ihr einen besseren findet.“
Die beiden Männer umarmten einander.
„Wir werden uns wiedersehen“, sagte Ezio. „Darauf habt Ihr mein Wort. Buona fortuna, mein ältester Freund!“
* * *
Was der Apfel prophezeit hatte, war unausweichlich, denn der Apfel zeigte die Zukunft so, wie sie eintreten würde, und daran konnten kein Mann und keine Frau etwas ändern, ebenso wenig wie sich die Vergangenheit ändern ließ.
Als Ezio sich dem Castel Sant’Angelo näherte, sah er päpstliche Gardisten – die neuen, die die Uniform von Julius II . trugen – aus der alten Festung laufen und in Gruppen entlang dem Fluss und in den umliegenden Straßen Aufstellung nehmen. Glocken und Trompeten signalisierten Warnungen. Ezio wusste, was geschehen war, noch bevor ein Hauptmann, den er aufhielt, ihm atemlos verriet: „Cesare ist geflohen!“
„Wann?“
„Die Wache wechselte gerade. Vor etwa einer halben Stunde.“ Vor einer halben Stunde! Genau in dem Moment also, da der Apfel das Geschehen gezeigt hatte!
„Wisst Ihr, wie er entkommen ist?“
„Wenn er nicht durch Wände gehen kann, haben wir keine Ahnung, wie er fliehen konnte. Aber es sieht so aus, als hätte er Freunde in der Burg gehabt.“
„Wen? Lucrezia?“
„Nein. Sie hat ihre Gemächer nicht verlassen, seit das alles angefangen hat. Der Papst
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