Assassin's Creed: Renaissance - Der offizielle Roman zum Videogamebestseller Assassin’s Creed 2 (German Edition)
erblickte er seinen jüngeren Bruder, den er seit gestern früh nicht mehr gesehen hatte. Er begrüßte den Knaben herzlich. „ Ciao , Petruccio. Was treibst du denn hier? Bist du deinem Hauslehrer entwischt? Und ist es für dich nicht schon längst Zeit, im Bett zu sein?“
„Sei nicht albern. Ich bin so gut wie erwachsen. In ein paar Jahren werde ich stark genug sein, um dich windelweich zu schlagen!“ Die Brüder grinsten einander an. Petruccio drückte eine geschnitzte Schachtel aus Birnbaumholz an die Brust. Sie war offen, und Ezio sah darin eine Handvoll weißer und brauner Federn. „Das sind Adlerfedern“, erklärte der Junge. Er zeigte zum Turm eines nahen Gebäudes hinauf. „Dort oben ist ein altes Nest. Die Jungen müssen flügge geworden und verschwunden sein. Im Mauerwerk haben sich noch viel mehr Federn verfangen.“ Petruccio sah seinen Bruder bittend an. „Ezio, würde es dir etwas ausmachen, mir noch ein paar zu holen?“
„Wozu brauchst du sie denn?“
Petruccio senkte den Blick. „Das ist ein Geheimnis“, sagte er.
„Wenn ich sie dir hole, wirst du dann nach Hause gehen? Es ist spät.“
„Ja.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“
„Na schön.“ Ich habe Claudia heute schon einen Gefallen getan, dachte Ezio, warum also sollte ich Petruccio nicht auch einen tun?
Den Turm zu erklettern erwies sich als knifflig, denn die Steine waren glatt, und Ezio musste sich konzentrieren, um in den Mauerfugen Halt für seine Finger und Fußspitzen zu finden. Weiter oben halfen ihm dann auch Zierleisten. Letztlich brauchte er eine halbe Stunde, aber er las alle Federn auf, die er finden konnte, fünfzehn an der Zahl, und brachte sie Petruccio.
„Eine hast du aber übersehen“, sagte Petruccio und deutete in die Höhe.
„Ins Bett mit dir!“, knurrte Ezio.
Petruccio lief davon.
Ezio hoffte, dass ihre Mutter sich über das Geschenk freuen würde. Es war nicht schwer, hinter Petruccios Geheimnis zu kommen.
Lächelnd ging auch er ins Haus.
3
Am nächsten Morgen wurde Ezio erst spät wach, fand zu seiner Erleichterung jedoch heraus, dass sein Vater keine Aufgaben für ihn hatte, die sofort erledigt werden mussten. Er ging in den Garten, wo seine Mutter die Beschneidung ihrer Kirschbäume überwachte, deren Blüten gerade zu welken begannen. Sie lächelte, als sie ihn sah, und winkte ihn zu sich. Maria Auditore war eine hochgewachsene, würdevolle Frau Anfang vierzig; das lange schwarze Haar trug sie geflochten unter eine Kappe aus weißem Musselin, die in den Familienfarben gesäumt war, Rot und Gold.
„Ezio! Buon’ giorno .“
„Madre.“
„Wie geht es dir? Ich hoffe, besser.“ Behutsam berührte sie die Wunde an seinem Kopf.
„Mir geht’s gut.“
„Dein Vater sagte, du solltest so lange wie möglich ruhen.“
„Ich brauche keine Ruhe, Mama!“
„Nun, jedenfalls wird es für dich heute Morgen keine Aufregung geben. Dein Vater hat mich gebeten, mich um dich zu kümmern. Ich weiß, was du angestellt hast.“
„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“
„Treib keine Spielchen mit mir, Ezio. Ich weiß von deiner Prügelei mit Vieri.“
„Er hat schlimme Geschichten über unsere Familie verbreitet. Das konnte ich doch nicht ungestraft hinnehmen.“
„Vieri steht unter Druck. Jetzt, nachdem sein Vater verhaftet wurde, sogar noch mehr.“ Seine Mutter hielt nachdenklich inne. „Man mag Francesco de’ Pazzi ja vieles nachsagen können, aber ich hätte nie geglaubt, dass er in eine Verschwörung zur Ermordung eines Herzogs verstrickt sein könnte.“
„Was wird mit ihm geschehen?“
„Es wird eine Verhandlung geben. Ich nehme an, dass dein Vater dabei als einer der Hauptzeugen auftreten wird, wenn unser eigener Herzog Lorenzo zurückkehrt.“
Ezio sah beunruhigt drein.
„Keine Sorge, du hast nichts zu befürchten. Und ich werde nichts von dir verlangen, was du nicht tun möchtest – im Gegenteil, ich will, dass du mich begleitest. Ich habe eine Besorgung zu erledigen. Es wird nicht lange dauern, und ich denke, es wird dir sogar gefallen.“
„Ich helfe dir mit Vergnügen, Mama.“
„Dann komm. Es ist nicht weit.“
Sie verließen den Palazzo zu Fuß und gingen Arm in Arm in Richtung der Kathedrale, in deren Nähe sich ein kleines Viertel befand, in dem viele der florentinischen Künstler ihre Werkstätten und Ateliers hatten. Einige davon – wie etwa die des Verrocchio und des Alessandro di Moriani Filipepi (ein aufstrebender junger Meister, der
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