Assassin's Creed: Renaissance - Der offizielle Roman zum Videogamebestseller Assassin’s Creed 2 (German Edition)
das er jedoch nicht exakt benennen konnte. War es Kühle? Der Eindruck einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber seinen Mitmenschen? Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass er wie viele andere Künstler in höheren Sphären schwebte – das war es jedenfalls, was Ezio so hörte. Dennoch verspürte er instinktiv Respekt vor diesem Mann.
„Und Ihr, Ezio? Was tut Ihr?“, fragte Leonardo ihn.
„Er arbeitet für seinen Vater“, antwortete Maria an seiner Stelle.
„Aha. Ein Finanzfachmann! Nun, dafür seid Ihr in der richtigen Stadt zur Welt gekommen!“
„Für Künstler ist Florenz aber auch eine gute Stadt“, meinte Ezio. „Mit all diesen reichen Gönnern.“
„Aber es gibt so viele von uns“, murrte Leonardo. „Da ist es schwer, Aufmerksamkeit zu finden. Darum stehe ich ja so tief in der Schuld Eurer Mutter. Ihr dürft mir glauben, Sie hat einen sehr kritischen Blick!“
„Konzentriert Ihr Euch auf die Malerei?“, fragte Ezio und dachte an die Vielfalt, die er im Atelier gesehen hatte.
Leonardo schaute nachdenklich drein. „Das ist eine schwierige Frage. Um ehrlich zu sein, fällt es mir schwer, mich auf eine Sache zu beschränken, nun, da ich auf eigenen Füßen stehe. Ich liebe es zu malen, und ich weiß, dass es mir liegt, aber … irgendwie kann ich immer schon das fertige Bild sehen, bevor ich es tatsächlich vollendet habe, und das erschwert es mir bisweilen, die Dinge zu Ende zu führen. Ich brauche jemanden, der mir Druck macht! Aber das ist es nicht allein. Oft habe ich das Gefühl, dass meinen Werken etwas fehlt … ich weiß nicht … ein Sinn und Zweck. Versteht Ihr, was ich meine?“
„Ihr solltet mehr Selbstvertrauen haben, Leonardo“, sagte Maria.
„Ich danke Euch, aber es gibt Momente, da denke ich, dass meine Arbeiten praxisorientierter sein und eine unmittelbare Bedeutung für das Leben haben sollten. Ich möchte das Leben verstehen lernen – wie es funktioniert, wie alles zusammenhängt.“
„Dann müsstet Ihr hundert Mann in einem sein“, fand Ezio.
„Wenn ich das doch nur könnte! Ich weiß, was ich erkunden will – die Architektur, die Anatomie, auch die Technik. Ich möchte die Welt nicht mit meinem Pinsel einfangen, ich möchte sie verändern!“
Er sprach mit solcher Leidenschaft, dass Ezio eher beeindruckt als irritiert war. Dieser Mann prahlte nicht; im Gegenteil, er schien beinah geplagt von all den Ideen, die in ihm schwelten. Gleich erzählt er uns noch, dass er sich obendrein mit Musik und Poesie befasst, dachte Ezio.
„Möchtet Ihr Eure Last kurz abstellen und etwas ausruhen, Ezio?“, fragte Leonardo. „Womöglich ist sie Euch zu schwer.“
Ezio biss die Zähne zusammen. „Nein, grazie . Und wir sind ja auch gleich da.“
Als sie den Palazzo Auditore erreichten, trug er seine Kiste in die Eingangshalle und setzte sie so langsam und vorsichtig ab, wie seine schmerzenden Muskeln es zuließen, und er empfand eine Erleichterung, die größer war, als er es je zugegeben hätte.
„Danke, Ezio“, sagte seine Mutter. „Ich glaube, jetzt kommen wir auch ohne dich ganz gut zurecht, aber wenn du natürlich mitkommen und beim Aufhängen der Bilder helfen möchtest …“
„Danke, Mutter – aber ich denke, diese Aufgabe überlasse ich besser euch beiden.“
Leonardo reichte ihm die Hand. „Es hat mich sehr gefreut, Euch kennenzulernen, Ezio. Ich hoffe, wir begegnen uns bald einmal wieder.“
„Anch’io.“
„Du könntest einen der Diener rufen, er soll Leonardo zur Hand gehen“, trug Maria ihm auf.
„Nein, nein“, wehrte Leonardo ab. „Ich kümmere mich lieber allein darum. Nicht auszudenken, wenn jemand eine dieser Kisten fallen ließe!“ Er bückte sich und nahm die Kiste, die Ezio abgestellt hatte, unter den Arm. „Wollen wir?“, fragte er Maria.
„Hier entlang“, sagte sie. „Bis später, Ezio, wir sehen uns heute Abend beim Essen. Kommt, Leonardo.“
Ezio sah ihnen nach, als sie die Eingangshalle verließen. Dieser Leonardo verdiente wirklich Respekt.
Am späten Nachmittag eilte Giulio herbei – wie es seine Art war –, um ihm mitzuteilen, dass sein Vater ihn in seinem Büro zu sehen wünsche. Ezio folgte dem Sekretär rasch den langen, mit Eichenholz verkleideten Korridor hinunter, der in den hinteren Teil der Villa führte.
„Ah, Ezio! Komm herein, mein Junge.“ Giovannis Tonfall war ernst und geschäftsmäßig. Er erhob sich hinter seinem Schreibtisch, auf dem zwei dicke, in Pergament eingeschlagene und versiegelte
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