Aster, Christian von - Die grosse Erdfer
nichts. Zumindest nichts, von dem ihr irgendjemandem zu berichten vermöchtet.«
Jetzt begannen die Erzferkel zu knurren. Sie spürten die Gefahr, die von den Fremden ausging, erkannten womöglich die Mörder ihres Artgenossen und zerrten an ihren Leinen. Doch ihr Herr, der immer noch das tote Tier im Arm hielt, hatte ihre Leinen fest im Griff.
Dann wandte der Anführer sich an seine Männer und zischte ihnen leise zu: »Bringt es zu Ende.«
Zwei der Vermummten eilten zu den toten Gardisten hinüber, nahmen ihnen die Waffen ab und kamen dann, mit den Stahlschleudern, Käfern und der Munition in den Händen, wieder zurückgestapft.
Blechboldt und der Siegelhauer starrten sie stumm an. Wie gelähmt standen sie dort, fassungslos und unfähig, sich zu regen oder das Wort zu erheben. Was gerade hier zwischen den steinernen Bäumen geschehen war, erschien ihnen vollkommen unvorstellbar.
Das oberste Gebot des Zwergischen Kodex, das höchste Gesetz der zivilisierten ehernen Gemeinschaft war vor wenigen Augenblicken mit Füßen getreten worden. Mit Trollfüßen! Niemals durfte ein Zwergenartiger die Hand gegen einen anderen Zwergenartigen erheben, solange er nicht wenigstens volltrunken war. Hier aber hatten Zwerge ihresgleichen erschlagen, ohne Bierzwist, Blutfehde oder Ähnliches. Sie waren aus dem Nichts aufgetaucht, hatten ohne Vorwarnung getötet, und sie waren noch nicht fertig…
Die Erzferkel an ihren Leinen gebärdeten sich wie wild, grunzten, schnaubten wütend und hieben ihre kurzen spitzen Zähne immer wieder in die ledernen Leinen. Doch Farrnwart hatte sie fest im Griff.
Fachmännisch luden die Vermummten die Stahlschleudern neu, ersetzten die leeren Rauchkäfer, füllten die Läufe mit Stahlkugeln und legten dann auf die verbliebenen beiden Expeditionsmitglieder an.
Den Siegelhauer traf es als Ersten. Drei Kugeln durchschlugen seine Rüstung, zerrissen ihm den Brustkorb und schickten ihn ohne Umwege hinauf in die Hohe Höhle.
Der Weg des Ferkelbändigers war jedoch ein anderer. In dem Moment, als die Vermummten ihre Stahlschleudern auf ihn richteten, ließ Farrnwart die Leinen los. Die Ferkel rannten auf die Fremden zu, sprangen über die Reste des Feuers hinweg und stürzten sich auf einen der Stahlschleuderschützen. Eines der Ferkel verbiss sich knurrend in seinem Oberschenkel, das zweite schaffte es bis zu seiner Schulter. Der Vermummte schrie schmerzerfüllt auf, riss die Waffe hoch und entlud alle fünf Läufe. Die Kugeln trafen jedoch nur eine Reihe versteinerter Ungeheuer, die weiter abseits im Dunkeln standen.
Der Ferkelbändiger wusste, was der Hammer geschlagen hatte. Er machte auf dem Absatz kehrt, ließ den Kadaver des Erzferkels fallen und hastete in die Dunkelheit davon, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
In seinem Rücken hörte er den Anführer der Fremden Befehle bellen, dann knackten Äste, und er wusste, dass sie ihm auf den Fersen waren. Größere Äste brachen, Stämme womöglich, die davon zeugten, dass auch der Troll wieder mit von der Partie war. Farrnwart wagte nicht, sich umzudrehen. Hinter ihm schwankte unruhiges Licht. Seine Verfolger hatten Laternen. Er hingegen besaß nicht einmal einen Leuchtkäfer. Doch seine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit. Es kostete ihn lediglich ein paar blaue Flecke und einen kurzen Sturz, dann konnte er die versteinerten Schemen ausmachen, bevor er in sie hineinrannte.
Für gewöhnlich wäre es klug gewesen, sich irgendwo im Dunkeln zu verstecken. Doch das hätte nur ein wenig Aufschub bedeutet. Er wusste nicht, wie viele Gegner es waren. Ob sie noch mehr Trolle hatten. Oder gar Drachen. Und wie lange sie brauchen würden, um den ganzen Steinwald zu durchforsten. Nein, sich zu verstecken war sinnlos. Möglicherweise hätte er auch einen versprengten Vermummten überwältigen und seiner Kleidung berauben können. Doch selbst verkleidet hätte er keine Chance. Nicht hier. Nicht jetzt. Er musste aus dem Steinwald verschwinden. Und zwar schnell. Schneller, als seine Füße ihn zu tragen vermochten.
Ein gewöhnlicher Zwerg hätte für das Denken dieser Gedanken einen halben Tag gebraucht. Farrnwart war jedoch kein gewöhnlicher Zwerg. Er war ein Zwerg mit einem nicht zu unterschätzenden Problem. Er vertrug kein Bier. Und das unangenehme Gefühl der Nüchternheit, das mit dem Nichttrinken einherging, machte seine Gedanken schneller. In seinem ganzen Leben war ihm diese Tatsache noch nie von Nutzen gewesen. Außer in
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