Astragalus
drei Tage nicht mehr da, und die Operation war vorgestern. Siehst du, du kommst gerade recht zu meiner Auferstehung. In der ersten Nacht habe ich irgendwann doch geklingelt, ich schrie und konnte mich nicht beherrschen. Also habe ich – wegen meiner Zimmernachbarinnen, wohlgemerkt – um irgendein Beruhigungsmittel gebeten. Ich glaube, sie haben mir Morphium gespritzt. Gestern ging’s mir noch ziemlich dreckig, eigentlich bis heute früh. Ich hatte eine furchtbare Nacht, habe meinen Gips umklammert, das Knie bis ans Kinn hochgezogen … Und dann hat mich ein Engel besucht, die Vögel haben wieder angefangen zu singen und, und … du bist da.«
Julien schaut auf die Uhr: »Wir haben noch eine gute Stunde Sprechzeit. Erzähl. Erzähl mir alles, was sie mit dir angestellt haben.«
Ich lache: »Nicht nötig. Außerdem wäre es schwierig, die interessantesten Erlebnisse habe ich verschlafen. Ansonsten, Krankenhausroutine, Milchkaffee, Futter um elf und um sechs (keine große Abwechslung zum Bau), Behandlung, Penizillin. Ehrlich, mein Hintern tut schlimmer weh als das Bein. Guck dir das an.« Ich raffe mein halbes Hemdchen über dem Bauch zusammen.
Vom Penizillin Retard, das ich dreimal täglich gespritzt bekomme, sind meine Hüften voll violetter Blutergüsse und kleiner Schorfpunkte … Irgendwie wollen im Krankenhaus alle unbedingt das Hässlichste von sich vorzeigen: Wer hat die schlimmste Naht mit den meisten Stichen, den dicksten Gips, den schwersten Streckverband. Anstatt Julien mit meinen Händen oder meinem unversehrten Gesicht zu gefallen, präsentiere ich ihm meine von Löchern und blauen Flecken übersäte Haut und bedaure, dass ich ihm nicht auch noch zeigen kann, was unter meinem Gips los ist und was, nach den Blutergüssen zu urteilen, die die Ferse färben, noch beeindruckender sein muss.
Aber Julien … Heute ist seine Hand auf mir sanft, nicht heiß, schwesterlich, sie besucht eine Kranke. Ich weiß, was eine Frau für ihn ist, eine Frau ist die Gitarre, sie ist praktisch, aber sie braucht Zärtlichkeit, sie ist verletzt und will singen. Julien liebt freundlich und geschickt, aber er will sich nicht damit aufhalten. Jetzt ist eine Zeit der Brüderlichkeit, eiei… einsam, und seine Küsse sind leicht, leicht wie seine Hand. Aber ich bin doch gar nicht so zerbrechlich.
»In ein paar Stunden kann ich mich hinsetzen …«
Ich traue mich noch nicht. Mein Bein schläft auf ein Kissen gebettet, zwischen Sandsäcke geklemmt. Heute früh habe ich beschlossen, dass ich mich allein waschen kann. Ich habe die Schüssel genommen und die Schwester weggeschickt; während sie die anderen wusch, habe ich die Rückstände von Chloroform und eisigem Schweiß, die feuchten und schmutzigen Spuren der Schmerzen von meiner Haut gerubbelt, gespült, vertrieben.
Allmählich vervollständigt Nini meine Ausrüstung. Sie achtet nicht aufs Geld, Julien begleicht die Rechnungen. Ich habe den schönsten Morgenmantel, Zigaretten für einen Monat, Schminke für ein Jahr und sogar Basketballschuhe.
»Wenn du anfängst zu laufen«, sagt sie praktisch, »brauchst du Schuhe, die den Knöchel stützen.«
»… Ich werde in Basketballschuhen und Blümchennegligé durchbrennen.«
»Warte noch ein bisschen«, sagt Julien. »Es ist keine zwei Tage her, dass sie dich operiert haben! Bis dahin besorge ich dir Kleider.«
Julien »besorgt«.
»Später werden deine Schränke überquellen, du wirst dich zehnmal am Tag umziehen, wenn du Lust hast. Jetzt musst du noch das alte Zeug tragen. Alles zu seiner Zeit.«
Julien richtet sich auf und inspiziert den Saal. Jedes Bett ist ein kleiner Familienrat. Während der Besuchszeit ignorieren die Kranken einander, schirmen sich voneinander ab, um in das eigene Leben zurückzukehren. Die Besucher drängen sich am Bett, räumen den Nachttisch auf, klopfen die Kissen zurecht, packen hastig süße oder nahrhafte Lebensmittel aus, sie wissen, was gut ist, und das Krankenhaus hat keine Ahnung.
Nini kommt zwei-, dreimal in der Woche, um meine Vorräte aufzufüllen und meine Bestellungen entgegenzunehmen; ansonsten bin ich Waisenkind. Um neugierige oder mitleidige Kontaktaufnahmen der benachbarten Clans zu vermeiden, lese oder döse ich demonstrativ bis zur Stunde von Sankt Thermometrus.
Punkt vierzehn Uhr taucht die Krankenschwester mit ihrem Glas in der Hand auf: »Die Besucher, bitte sehr!« Um die Saalräumung zu beschleunigen, fängt sie an, die Messgeräte zu verteilen, die sie vorher geprüft
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