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Astragalus

Titel: Astragalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albertine Sarrazin
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starrte. Er verließ das Zimmer und zog Nini mit sich. Wie lange würde ich auf diesem neuen, metallischen, unmenschlichen Viereck bleiben? Diese unverständliche, bizarre, geometrische Umgebung, lauter Hebel, Kästchen, Rohre, Klicken und Surren, dann die sanfte, etwas feuchte Wärme besorgten und beruhigten mich zugleich. Ich hatte einen neuen Ausgangspunkt erreicht, und schon erhob sich eine undurchdringliche Wand zwischen dem Vormittag und diesem Augenblick. Der harte Tisch gab unter mir nach wie bei einer weichen Zwischenlandung, ich schöpfte Atem und neue Hoffnung.
    Nini kam allein zurück. Der strenge Ausdruck hatte einem ernsten Platz gemacht: »Es kann sein, dass Sie ihn verlieren …«
    Ich fragte nicht, wen. Die Stille begann zu brüllen, ein Kloß von Schreien verstopfte mir die Kehle. Ich sah meinen Fuß an, schwarz und käseweiß, meinen Fuß, den man in den Müll werfen würde. Und plötzlich wurde mir bewusst, wie sehr ich an jeder Zelle, an jedem Blutstropfen hing, wie sehr ich Zelle und Blut war, in meinem ganzen Körper bis ins Unendliche vervielfacht und geteilt. Wenn es sein musste, würde ich sterben, aber ganz und eins.
    Andererseits blieben diese Gedanken von Tod und Amputation fern, fremd, geradezu grotesk. Oben auf der Mauer, ehe ich die Hände öffnete, hatte ich auch gedacht: »Du wirst krepieren«, aber ohne es wirklich zu glauben. Auch jetzt erreichte mich die Bedrohung entstellt, durch Berichte und Bilder, die andere gehört und gesehen hatten. Das Leben, das in mir pulsierte, die noch frischen Erinnerungen an Akrobatik und Kunststücke, die Liebe am Morgen hielten mich am Rand der Wirklichkeit fest.
    Die Wirklichkeit, diese Fäulnis? Auf jeden Fall gehörte sie mir allein. Ich hatte sie schon lange vor den Ärzten abgestoßen, aber ihnen sprach ich das Recht ab, das Gleiche zu tun. Meine Fäulnis gehörte zu mir, und es gab nur eine Möglichkeit, ich würde sie entweder retten oder mit ihr verfaulen.
    Gemeinschaftszimmer: nur sechs Betten, vier davon belegt. Ich zeigte auf das am weitesten von der Tür entfernte, am nächsten beim Waschbecken: »Kann ich das haben?«
    Aber ja. Wieder Mumm in den Knochen, keine Lieferung, kein Fremdkörper mehr. In diesem Saal schienen vielmehr Nini und die anderen Gesunden fehl am Platz, ich kehrte ins Glied zurück, ich fügte mich ein, ich wurde die Kranke in Bett 5, und man fand es ganz normal, dass mein Bein verfaulter Brei war. Mein Bein rechtfertigte meine Anwesenheit, verschaffte mir Fürsorge und Lächeln, es war ein schöner Bruch, geradezu eine Heldentat.
    Die Sonne wärmt durch das Laken hindurch meinen Fuß. Seit meinem Sprung war mir nie so warm gewesen wie an diesem Nachmittag. Wenn ich getrunken hatte oder Julien mit mir schlief, bewegte sich die Welle, erstarrte aber sogleich wieder, und ich steckte in eisiger Watte. Hier wärmt mich der Strahl allmählich auf, auch die Heizung funktioniert. Es geht mir gut, ich spüre nicht mal mehr meine Schmerzen.
    Mein Bett ist komisch. Auf der Matratze ist ein Laken, das über die Kopfkissenrolle gespannt ist, darauf liegt ein zweites, einmal gefaltet und fest eingestopft als Unterlage; über mir ein Laken, eine Decke und ein weiteres blau gestreiftes Laken mit der Nummer des Krankenhauses: Kompressensystem. Ich habe zwei Kopfkissen, aber wenn ich drei, vier oder zehn haben wollte, müsste ich nur fragen.
    Ich kippe zu dem weißen, zweistöckigen Tischchen rechts von mir, um nach meinen Zigaretten zu greifen. Beim ersten Zug bewegt sich das Bett gegenüber, im rechten Winkel zu meinem; dort liegt lang ausgestreckt eine junge Frau, nur ihre Arme regen sich. Über ihrem Kopf ist ein Spiegel angebracht, den sie mit einem Hebel in alle Richtungen bewegt; so kann sie verfolgen, was im Saal passiert, ohne den Kopf zu heben. Das ist sicher nicht lustig, sich den ganzen Tag in diesem Deckenspiegel zu sehen. Das Mädchen bewegt das Sichtfeld, sucht mich. Während sie spricht, starrt sie mein Spiegelbild an.
    »Passen Sie auf, dass die Oberschwester Sie nicht erwischt, das ist verboten … erst recht vor der OP!«
    »Tut mir leid«, sage ich, »das wusste ich nicht.«
    »Uns stört es nicht, ich rauche auch, und die anderen Kranken haben nichts gegen den Geruch. Aber es ist besser, die Besuchszeit abzuwarten. Und Ihnen kann heute womöglich davon schlecht werden, danach…«
    »Wann ist denn Besuchszeit?«
    »Von zwölf bis zwei und abends von sechs bis sieben, Sonntags den ganzen Nachmittag. Ich will ja

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