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Astragalus

Titel: Astragalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albertine Sarrazin
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hierher schicken?«
    »Ich sage Ihnen doch, dass ich mit niemandem Kontakt aufnehmen will!«
    »Kontakt nicht, aber … Keine Ahnung, Patienten, Pfleger …«
    Ich habe Lust, ihn auch zu erschrecken.
    »Na gut, die Adresse stand natürlich auf meiner Fieberkurve am Fußende des Bettes. Wenn jemand sie abgeschrieben hat, kann ich nichts dafür. Aber schließlich nimmt Nini die Post in Empfang, sie muss sie nur zum Absender zurückschicken.«
    Ich habe Mühe, nicht loszuprusten. Wenn sie wüssten, was ich aus ihrem anständigen Bordell mache!
    Sonntags sind Pierre und Nini den ganzen Tag weg, sie nehmen den Jungen mit und lassen mir die Mutter da. Sie haben sich ein Sommerhaus für ihre alten Tage gekauft und sind mächtig hinterher mit Malern, Möblieren und Zaunpfähle einschlagen, um dann den Ballsaal zu verhökern und sich endgültig aufs Land zurückzuziehen.
    Am Sonnabend bereitet Nini etwas zu essen für ihre Schwiegermutter und mich vor, kocht Eier und Kartoffeln, das Schälen überlässt sie mir, »es sind noch Konserven in der Kammer, wenn ihr Hunger habt«. Sie nimmt die Hausschlüssel mit. Am Sonntagmorgen, ganz früh, wenn ich gerade meinen Wachposten verlasse – Julien wird nicht mehr kommen – und mit den ersten Sonnenstrahlen schlafen gehen will, steckt sie den Kopf durch meine Tür und schreit: »Wir fahren los. Wenn jemand klingelt oder anruft, rühren Sie sich bloß nicht. Bis heute Abend dann!«
    Ich sage, dass ich mich nicht rühren werde, und schlafe ein, bis es Zeit für den Milchkaffee für die Schwiegermutter ist; die nichts macht außer essen und schlafen. Sie verbringt ihre Tage in der Küche, die Hände flach vor sich auf dem Marmortisch, grünliche Leichenhände. Sie bewegt sich nicht, sagt kein Wort und regt sich nur, wenn die Teller dampfen, die sie so gierig und schlabbernd wie ein hungriges Raubtier leert. Dieses sonntägliche Tête-à-tête ist gespenstisch.
    Die einzige Tür, die Nini nicht mit einem Vorhängeschloss versperren kann, ist die des riesigen Kühlschranks, eines Restaurantkühlschranks, in dem man ganze Ochsen aufhängen könnte und der jetzt als Flaschendepot dient. Hinter dem Rücken der Schwiegermutter mixe ich mir dort die wildesten Cocktails. Am schwierigsten ist der Transport meines Glases: Meine Hände sind um die Griffe der Krücken geschlossen nicht verfügbar. Also schiebe ich das Glas halben Meter um halben Meter, Schritt für Schritt auf dem Boden entlang. Auf der Terrasse angekommen, lege ich mich nur mit dem Gips bekleidet hin und berausche mich mit Sonne und Alkohol.
    Bei der Rückkehr der Hausherren habe ich im Waschhaus gebadet und mir den Mund gespült, bin frisch bis zum Knie, klar im Kopf und halb verdurstet: »Die Sonne trocknet einen aus.«
    Armer Pierre, der mich zur Heimarbeit überreden möchte und dem ich den Whisky klaue, der sicher für derartige Empfänge bestimmt ist.
    Ich nehme das Thema wieder auf: »Ich würde ja gern, aber ich frage mich, ob sich Julien darüber freut, wenn er hört, dass er ein Zuhälter ist.«
    »Von wegen Zuhälter, so ein Quatsch. Er wird ganz bestimmt zufrieden sein, er steht nicht gern in der Kreide. Außerdem sind Sie doch nicht mit ihm verheiratet, oder?« Und Pierre legt mir ausführlich dar, dass ich dieses Geld nicht verdienen würde, sondern dass ich es ihm schulde; dass er es sowieso nur unter diesen Umständen zuließe; dass ich schon einen Weg fände, die Sache hinterher dem zu erklären, den ich ganz im Ernst! »meinen Mann« nenne, und dass er sich, wenn ich es geschickt anstellte, auch nicht aufregen wird: »Frauen sind so gut darin, jemanden zu bequatschen …«
    Pierre ist ein Recht, Julien ist ahnungslos, und ich selbst bin ein zu vernachlässigendes Zwischenglied, das Arrangement genügt jeder Moral.
    Pfeif auf die Moral, ich werde Julien alles erzählen.
    Ich setze sogar noch eins drauf: »Für jeden von Pierres Scherzen würde ich ordentlich Schmerzensgeld verdienen, verstehst du …«
    Julien ist mitten in der Nacht gekommen, wie beim letzten Mal.
    Nini war wütend, weil sie aufstehen musste, um ihm die Tür aufzumachen, und als sie uns gegen elf das Frühstückstablett brachte, sagte sie: »Einmal haben Sie mich gekriegt, in Zukunft können Sie klingeln, so lang Sie wollen … Sie sind wirklich dreist! Kreuzen früh um zwei hier auf, ohne vorher anzurufen oder zu schreiben. Ich mache es wieder so wie zu Hotelzeiten: Um elf schließ ich ab und lass den Hund los.«
    In dieser Nacht ist Julien

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