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Astragalus

Titel: Astragalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albertine Sarrazin
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Reststrafe, die ich für dich unterbrochen habe, mein zurückgewiesenes Geschenk!
    »Julien, du kommst doch zu meinem Zwanzigsten!«
    »Wenn ich kann, gern. Wir gehen irgendwo essen …«
    »Ach, Annie kann uns doch was kochen. Wir müssten sie sowieso einladen, und wenn ich ausgehe, bin ich lieber mit dir allein.«
    Wir fangen an, meine Zukunft zu planen. Erst mal durchhalten. Julien sorgt fürs Materielle, ich lass mich nirgends reinziehen, versprochen … Unzufrieden brüte ich vor mich hin. Ich hab die Nase voll davon, alles hinzunehmen. Weil Annie mein Fiskus ist und ich sie nicht durch äußere Zeichen von Reichtum reizen will, gebe ich fünf Riesen an, wenn mir Julien zehn gibt, und stecke zweieinhalb davon in ihre Sparbüchse für Ricard und Nounouches Bonbons. Später, wenn ich besser laufen kann …
    Aber laufe ich denn wirklich so schlecht?
    Sie hatten mir den Gips in zwei Etappen abgenommen. Bei der ersten Kontrolle hatte ich die Basketballschuhe von Nini und eine besonders feste Binde mitgenommen – ich sah mich an Juliens Arm vorwärtstasten, wie seine neue Freundin. Im Traum rollte ich den Fuß ab, imitierte nächtelang das Laufen, schob mit den Zehen das Laken weg. Um zu trainieren, hatte ich am Tag vor dem Arztbesuch sogar meinen Stiefel ausgezogen.
    Ich borgte mir die große Krawattenschere und fing unter der Kniescheibe an zu schneiden. Ich würde den Gips an beiden Seiten des Beins durchtrennen, wie ich es im Krankenhaus gesehen hatte, den Deckel abnehmen und mein Bein ganz vorsichtig aus seinem Etui ziehen, wie man ein Soufflé aus dem Backofen holt … Fehlanzeige! Nach einer halben Stunde hatte ich gerade eine Kerbe von ein paar Millimetern geschafft; ein bisschen körniger Staub bedeckte das Linoleum, auf dem ich zu Annies Füßen saß, um ihr die Schere nach jeder Krawatte zu geben und sie zurückzunehmen. In diesem Tempo sollte ich besser auf die elektrische Säge warten.
    Dann hatte ich die Idee, den Gips einzuweichen. Ich tauchte das Bein in einen Eimer mit warmem Wasser und wickelte und wickelte … Was darunter zum Vorschein kam, war so hässlich, dass ich einen Strumpf anzog und nicht mal versuchte, aufzutreten.
    Beim Arzt erhielt ich neben einer saftigen Standpauke einen neuen Gips, einen sogenannten Gehgips. Ich lag auf dem Tisch im Verbandssaal und sah meine Haxe nochmals für eine Weile verschwinden.
    »Und sehen Sie zu, dass er diesmal dranbleibt«, sagte der Doktor, »sonst laufen Sie in zehn Jahren noch nicht.«
    Während er redete, kontrollierte er die Dicke des Absatzes – ein Gazewürfel, der schnell hart wurde, während eine Schwester meine gipsverschmierten Zehen und mein Knie einer oberflächlichen Reinigung unterzog.
    Mein Fuß würde wieder tun, wozu er geschaffen war: sich vor den anderen setzen, eine Sekunde lang das ganze Gewicht des Knochengerüsts tragen … Dabei war ich so lange gelaufen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden! Ich würde das Glück der Eltern bei den ersten Schritten ihres Kindes erleben, gesteigert dadurch, dass es mein eigenes Glück war; vorankommen, ohne wie eine Laufpuppe gestützt, geschoben oder gezogen zu werden …
    Julien wartete draußen auf der Holzbank, neben anderen Kranken, die auf ihren Aufruf warteten, und der Frau in Weiß, die hinter ihrem Schalterfenster wartete. Ich hatte das Warten überwunden, ich blickte, die Hände endlich frei, zurück zu den Monaten des eingesperrten Schmerzes. Auf der Schwelle des Saals lächelte ich zögernd. Ich hätte zu Julien rennen mögen, leicht sein, ihn überraschen … Aber dieser Stiefel war schwer, viel schwerer als die Krücken, und so kam er zu mir, um mich, diesmal unter dem Ellbogen, zu halten und jeden meiner grotesken Schritte zu stützen.
    Annie borgte mir einen Stock mit Gummifuß, und ich fing wieder an, auf drei Beinen zu humpeln, tock, tock, Herumfuchteln, Kribbeln.
    Und jetzt?
    Ich postiere mich mit dem Rücken zum Spiegel vor dem Schrank, ich verrenke mir den Hals, um meine Knöchel zu vergleichen, ich gehe bis zur Küchentür. Nein, das ist nicht wahr, ich hinke nicht, weder sehe noch spüre ich mich hinken. Ich habe nicht genug Platz, um zu rennen, aber die einstigen Luftsprünge kribbeln in meinen Waden, ich kann nicht auf dem Gipsbein hüpfen, mich auf meinem neuen Laufgerät nicht mal im Gleichgewicht halten, aber ich werde es so sehr wollen, dass ich es schaffen werde.
    »Gib die Zigarette her! Bist du bekloppt, auf der Straße zu rauchen? Willst du unbedingt

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