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Astragalus

Titel: Astragalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albertine Sarrazin
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verlassenen Büros, ich lasse die Jacke fallen, besichtige das Museum der verhüllten Schreibmaschinen und der braven Ordner … Ja, ich schnapp mir die zwanzig, dreißig Riesen aus der Kasse und muss nie mehr wiederkommen. Klar, probieren wir’s trotzdem.
    »Ich habe Lust, Sie zu sehen …«
    Am Telefonhörer klingt meine Stimme anscheinend viel einnehmender.
    »Das passt mir … Nein, nicht Sonnabend. Doch, doch, es passt mir, aber warten Sie, damit ich eine Lücke für Sie finde …«
    Nicht drängen, so tun, als gäbe ich ihm den Vorzug vor einem ganzen Haufen von Verabredungen.
    »Heute Abend kann ich mich freimachen, wenn Ihnen das recht ist?«
    Es ist Sonntag, Plätze und Straßen sind belebt. Ich bin aufmerksam, professionell interessiert und nett. Ich habe mich als kleines Mädchen geschminkt. Während er redet, untersuche ich einen eingerissenen Nagel: Ich habe keine anderen Sorgen.
    »Mein Schatz, Sie sehen müde aus heute Abend. Dabei habe ich Sie extra heute angerufen, damit Sie nicht mit Ihren Tagesrechnungen und Ihrem Feierabendgesicht kommen. Stimmt was nicht?«
    »Doch, doch«, sagt er, »aber von wegen Sonntag! Ich habe den ganzen Tag gearbeitet. Ja, das Monatsende ist immer eine riesige Abrechnung. Aber gut, ich habe alles erledigt. Eigentlich wollte ich heute Abend bei dem Geld im Büro schlafen; aber was soll’s, bin ich eben morgen ganz früh da und von der Bank zurück, bevor der Chef aufkreuzt. Ich kann Sie doch nicht mit ins Büro nehmen … Kommen Sie zu mir, oder sollen wir lieber ins Hotel gehen?«
    Mitten in der Nacht überzeuge ich mich, dass er tief schläft, schnappe mir den Büroschlüssel und schleiche aus der Villa. Ich lasse meine Tasche als Pfand da, falls er zu früh aufwacht; ich musste noch was erledigen, mein Schatz.
    Ein Taxi finden, das mich in der Nähe des Büros absetzt, die Treppe hochrennen, nachdem mich der Türöffner reingelassen hat, ohne dass ich die Sprechanlage benutzen musste, und schon stecke ich den winzigen Schlüssel in das gefährliche Brahmaschloss. Ich drücke, ich drehe … Uff! Ein oder zwei Stunden gegenüber dem Aufbrechen gespart.
    Keine Schublade ist verschlossen. In der des Buchhalters sacke ich die paar Tausender aus der »kleinen Kasse« ein und suche weiter. Der kleine Schlauberger hat das Geld in ein Stück Packpapier gewickelt, mit einem Gummi drum, ganz hinten in einer Schublade voll alter Akten. Ich reiße eine Ecke ab, die Riesen tauchen auf, knisternd und sauber, neue Scheine … Ich pack sie nicht aus, stecke das Paket in meinen Ausschnitt und richte mich ein bisschen berauscht wieder auf. Unglaublich, dass es so leicht gewesen ist. Irgendwas passiert noch – nein, die Büros schlafen weiter, nichts rührt sich, nicht im Gebäude, nicht auf der Straße. Das Schwierigste liegt noch vor mir: einen Einbruch simulieren, um mich und zugleich meinen Freier zu decken.
    Hinter dem Chefbüro entdecke ich eine Kammer, eine Toilette mit Waschbecken und Kleiderhaken, deren Fensterchen mit schmutzigem Glas zu einer engen Gasse führt. Das Fenster ist verriegelt. Ich mache es auf. Die Nacht kommt zu mir. Ich atme die große Stille, in der nur mein Herz an dem warmen Geldpäckchen hämmert.
    Unter dem Waschbecken steht ein Eimer mit einem Wischlappen. Ich umwickle meine linke Hand mit dem Lappen, halte das Fenster fest, lausche … Schlage mit dem Schuh, den ich in der rechten Hand halte, kräftig gegen das Glas. Es überzieht sich fast geräuschlos mit sternenförmigen Rissen. Eines nach dem andern löse ich die Glasstücke heraus und verteile sie im Waschbecken, auf dem ausgebreiteten Handtuch; ich kratze drinnen und draußen an den Wänden lang, um Spuren des Hinaufkletterns und des Sprungs zu hinterlassen; ich lasse Splitter unter das Fenster regnen und lege den Lappen zurück, nachdem ich ihn ausgeschüttelt habe.
    Dann schließe ich die Tür ab und gehe. So schnell ich kann, lege ich in Gegenrichtung denselben Weg wie vorhin zurück, die Tür der Villa gibt unter meinem Druck nach, gut, mein Liebhaber hat fein gepennt. Er schläft, träumt von Zahlenreihen. Ich stecke den Schlüssel wieder in seine Hose, verstaue den Zaster in meiner Tasche; diskret, wie er ist, wird er nicht darauf kommen, darin zu wühlen, während ich schlafe … Ich falle um vor Müdigkeit, die Aufregung hat mich erledigt, ich muss schlafen, schlafen … Nein, gleich klingelt der Wecker, Achtung, ich muss bis zum Morgen durchhalten.
    Ich schiebe mich neben ihn und setze die

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