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Astragalus

Titel: Astragalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albertine Sarrazin
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hinterlassen hat; »leichter Equinismus« stand in der Akte.
    Lauf gerade, Anne, wenn man dich erkennt, wenn man dich ausfragt, darf dieser Unfall nie sichtbar werden, deine Haxe bedroht alle mit Gefängnis, die dich gerettet haben. Aber … wie soll man hier an den Knast denken? Wie auch nur daran glauben? Hier sehen alle aus wie verkleidet, und die allgegenwärtige Polizei lässt die Menge in Ruhe, in der ich mit meinem Strohhut und der Sonnenbrille untertauche.
    Früh um acht gehe ich an den Strand und bleibe bis zum Abend dort, löse mich nur für ein kurzes Bad vom Viereck meines Frotteehandtuchs. Ich paddle herum, nicht sehr weit raus, komme zurück und werfe mich unter die Sonne, platt auf dem Bauch oder platt auf dem Rücken. Gegen sieben, wenn das Wasser kühler wird und die Jungs anfangen, ihre Runde zu drehen, eine Tänzerin oder Begleiterin zum Abendessen zu suchen, stehe ich auf. Ich dusche, um das Salz abzuspülen, ziehe mich an und breche auf, ziemlich erschöpft, gesättigt vom Geruch und vom Plätschern des Meeres.
    In der Stadt mache ich meinen Einkauf; ich habe noch nie gern allein im Restaurant gesessen. Hier kaufe ich mir wie in Paris irgendwelche Sachen, die ich beim Lesen auf meinem Bett direkt aus dem Papier esse, mit einem Kleenex als einzigem Geschirr; Rohkost, Sachen zum Kochen, die ich nicht koche, gepfeffertes Hackfleisch und kiloweise Obst, begossen mit Kaffee aus meinem Kocher. Wenn Julien zu mir zurückkommt, falls wir jemals zusammen leben und essen, werde ich mich an meinen Hauswirtschaftskurs erinnern, ich werde gesittete, geschmorte, angerichtete Mahlzeiten auftischen. Aber Julien ist im Knast, ich auf der Flucht und das Glück weit weg.
    Aus Nizza rufe ich Jean an: »Hol mich vom Zug ab, ich komme morgen früh zurück.«
    Durch diese Verabredung gebunden, muss ich mir wohl oder übel eine Fahrkarte kaufen, sonst würde ich bis zum Herbst hierbleiben, erschlagen, untätig … Raff dich auf, Mädchen, du bist schwarz genug, deine Zähne sind in deinem Lächeln gebleicht, und wenn die Leute dich ansprechen, fragen sie: »Sprechen Sie französisch?« Julien wird nicht das blasse Kind der ersten Nacht wiederfinden, ich werde Negerin sein und schön, ich werde ihm gefallen wie eine neue Frau. Sogar die Narbe an meinem Fuß ist gebräunt … Meine Asymmetrie? Pff, ich bin eine zauberhafte, leicht humpelnde Mulattin, und fertig. Niemand wird die weißen Bikinidreiecke sehen, niemand wird wissen, dass ich aus dem Schatten komme und dorthin zurückkehre.
    Jean, der schon in Madagaskar war, nennt mich »meine kleine Antandroyerin«. Die Nutten begrüßen mich begeistert: »Oh, unsere schöne Schwarze!« Und ich fahre jeden Morgen mit der Metro zum Schwimmbad Tourelles, um meine Bräune zu pflegen. Bis zum Mittag beobachte ich die Profispringer und die Kraul-Champions, die endlos hin und her schwimmen, und mache selbst ein paar Züge … Auch dort kreisen Jungs um mein Lebkuchenbraun, blasse Jungs, für die ich mir eine Mutter ausdenke, die leckeres Essen kocht und nicht mit Ohrfeigen spart, wenn man zu spät am Tisch sitzt. Ich habe auch einen Beruf, Sekretärin, um zwei fange ich wieder an zu arbeiten, entschuldigen Sie, ich muss jetzt gehen.
    Als ich neulich zu einer Zeit aus Suzys Bar kam, wo ich eigentlich brav auf meiner Maschine tippen sollte, stand ich plötzlich vor dem Bademeister … Ich achte auf jedes Gesicht und auf den Ausdruck, den ich meinem gebe, bei jedem Schritt, den ich in Paris mache; aber der Typ hatte mich noch nie anders als in Bikini gesehen und mich sicher nicht erkannt. Trotzdem verbrachte ich den Abend damit, mir für den nächsten Tag eine plausible Erklärung auszudenken. Aber die zurechtgelegten Sätze brauchte ich nicht, weder der Bademeister noch ich haben irgendeine Anspielung auf unseren kleinen Trip ins Vergnügungsviertel gemacht, und wir haben den Vormittag damit verbracht, uns wie immer freundlich anzubaggern.
    Ich sagte: »Bald sehen Sie mich gar nicht mehr im Tourelles …«
    »Oh, wie schade! Verlassen Sie Paris?«
    Ja. Vor einem Monat war ich bei der Mutter, Julien muss inzwischen verurteilt sein. Ich muss noch einmal hin, um zu hören, wann er rauskommt. Das Netz wird dünner, der Sonnenvorrat schwindet, ich muss meine Akkus aufladen.
    Erst mal bei Annie meine Geldkatze auffüllen.
    Annies Verzweiflung ist allzu demonstrativ. Die hastig gestammelten Sätze wurden sicher vor dem Spiegel geübt. Die Wörter fließen aus ihrem Pferdemaul wie Schlaufen

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