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Astragalus

Titel: Astragalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albertine Sarrazin
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einer Schnur. Ungerührt wickle ich die Schnur auf und ziehe vorsichtig, wenn sich das Knäuel verwirrt. Ich bin weder überrascht noch entsetzt, nur ein bisschen traurig, und irgendwie drängt es mich, auszukotzen, was sich hinter den Rippen zusammenballt. Ich rauche und atme, ganz regelmäßig, Luft, Rauch, Luft, Rauch, ich atme meine Kippe, klammere mich daran fest.
    Nounouche steht reglos vor dem Büffet, ein Fuß über dem anderen. Sie wartet auf den Passierschein meines Lächelns, um sich auf mich zu stürzen, auf die unter der schwarzen Haut wiedergefundene Anne, um auf meinen Stuhl zu klettern und in meiner Tasche zu wühlen. Aber ich lächle sie nicht an. Nounouche ist Annies Tochter, eine Verkleinerung, eine Verheißung von Annie, ihre tiefliegenden Augen voller Bilder sind bereits die ihrer Mutter. Meine Heiterkeit gilt Annie, denn der Tod einer erwachsenen Freundschaft ist wesentlich harmloser als der Tod von Nounouche.
    Als ich spüre, dass das Knäuel halbfertig ist, frage ich: »Aber wie konnten die denn reinkommen? Nachts sind Sie doch immer da, und tagsüber ist das Treppenhaus voller Leute.«
    »Na ja, ich glaube, es ist passiert, während wir im Kino waren. Jetzt, ohne Sie, sind die Abende so lang, wissen Sie … Und es ist so schön abends! Nounouche will nicht ohne mich ins Bett, sie hat Angst, dass ich nicht zurückkomme, dass ich ins Krankenhaus muss, wie ihr Vater … also nehme ich sie mit. Meistens am Sonnabend, damit sie am nächsten Tag ausschlafen kann. Dieses Jahr muss sie in der Schule aufpassen, stimmt’s?«
    »Sag mal, Maman …«
    Ich bringe das Gespräch wieder auf die Spur, und schließlich fängt Annie an, mehrere Schlaufen auf einmal hervorzusprudeln, woran sie fast erstickt. Zum Ausgleich presst sie ein paar Tränen heraus, was ihre Wimperntusche zerlaufen lässt und meine Lust zu lachen verstärkt.
    Ich stehe auf, öffne die Tür, bewege die Riegel und den Schlüssel, der wie immer von innen im Schloss steckt. Die Schlösser sind natürlich intakt. Nur das Mittelschloss, ein kleines schwaches, völlig unkompliziertes Buntbartschloss, trägt Spuren von Gewalt. Annies Worte vom letzten Abend und all den anderen, wenn sie vor mir schlafen ging, dröhnen auf meinem Trommelfell: »Und denken Sie dran, die Riegel vorzuschieben …« Manchmal drehten wir auch den Schlüssel im Schloss, aber mehr aus Gewohnheit; ohne die Riegel erschien uns die Tür nicht sicher.
    Ich richte mich auf und sage: »Dieses Schloss wurde niemals aufgebrochen! Diese Schläge mit einer Feile oder weiß ich was, das ist Schwachsinn, ein schlechter Film! Kommen Sie, Annie, mit einem Western und dieser Gangsterkomödie sind Sie an dem Abend wirklich verwöhnt worden.«
    Jetzt beugt sich Annie ebenfalls runter, um die Wunden des Einstiegs zu begutachten. Das dauert eine Weile. Dann wendet sie mir ihr völlig entgeistertes Gesicht zu: Jetzt schnalle sie gar nichts mehr, aber wenn jemand mit Schlüssel hereingekommen sei … Sie überlegt krampfhaft, erinnert sich an alle, denen Dédé und sie in den Jahren ihre Schlüssel anvertraut haben und die (angenommen, sie waren damals auf die Idee gekommen, einen Zweitschlüssel machen zu lassen) jetzt davon profitiert haben könnten, dass sie allein ist, um …
    Arme Annie, Improvisation ist wirklich nicht ihre Stärke. Es ärgert mich, dass sie auch nur eine Sekunde denken konnte, ich würde so einen Brocken schlucken, ohne aufzumucken. Aber sie gibt sich solche Mühe, die Splitter zusammenzusetzen, dass ich am Ende Mitleid kriege.
    »Okay, Schwamm drüber …«
    Annies Augen werden ein paar Töne heller.
    » … Geben Sie mir, was noch da ist, und wir vergessen, wie viel es war. Denn die haben doch bestimmt nicht alles mitgehen lassen?«
    So, wie ich Annie seit einer Stunde kenne, hat sie es nicht drauf, alles einzustecken; sogar bei einer Gemeinheit kann sie nur pfuschen. Halbe Gewissensbisse oder halbe Angst, auf jeden Fall hat sie das Ganze nur halb durchgezogen. So eine Verschwendung! Für ein paar hundert Riesen verschleudert man die Millionen der Zukunft, verschleudert man sich selbst …
    Annie wühlt im Schlafzimmerschrank und kommt mit einem Paket in Zeitungspapier zurück, das sie auf den Tisch wirft, sie sinkt auf ihren Stuhl, während das Paket zwischen uns niedersinkt.
    »Ich bin total durch den Wind seit dieser Geschichte«, sagt sie. »Da sehen Sie’s, ich war nicht mal in der Lage, etwas aufzuräumen, die haben alles auf den Kopf gestellt …«
    Da die

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