Astragalus
Das gefällt dir, zu sehen, wie ich schlappmache, was?«
»Nicht doch … Ich bin ja da, ich helfe dir, sag mir doch …«
Ich werfe die schmutzige Zeitung auf das Sofa. Die in Zehnerpacken zusammengeklammerten Scheine rutschen auf den Boden, wie ein Kartenspiel. Triumph, Rolande … Das wäre doch der passende Moment: Mit ein paar Monaten Verspätung bin ich, abgesehen von meinem Knöchel, so, wie ich mich für dieses Rendezvous erträumt hatte. Nur eben mein Knöchel.
Dass ich mich so übel zugerichtet habe, dass ich so wunderbar gerettet und zusammengeflickt wurde, das ist ein Zeichen, ist Vorspiel und Voraussetzung für etwas, etwas viel Wichtigeres als eine gepanschte, im Knast erblühte und vor Vergessen halbtote Liebe.
Jeans Glubscher sind so groß wie Untertassen: Er hat sicher noch nicht oft so viel Penunze auf seinem Bettvorleger verstreut gesehen.
Ich gebe den letzten Päckchen einen Tritt, damit sie zu den anderen auf die Erde fallen, lege eine Platte auf den Teller, drehe die Lautstärke auf Maximum, um die Vermieterinnen abzulenken, und sage zu Jean: »Komm, setz dich. Du rennst hier rum, bist ganz zapplig … Macht dich das da an? Mich bringt es zum Heulen.«
Ich stelle die Füße auf die Scheine, lasse Jean das Glätten meiner Haare wieder aufnehmen und erzähle alles: Was seit meiner Rückkehr von der Küste geschehen ist, ich gehe zurück bis vor die Küste, vor ihn, Julien, die gebrochene Haxe, die Flucht, der Knast, die Gerichtsverhandlung. Ein langes Schweigen macht sich breit, Jeans Hand unterbricht ihr Hin und Her und bleibt schwer auf meiner Schulter liegen.
Ich fahre fort: »Du weißt, dass du nur ein Wort sagen musst, und ich packe meinen Koffer; schließlich ziehe ich dich auch mit rein … Natürlich weniger als die anderen. Du bist … du bist mein Kunde, und im Vertrag für die Wohnung existierte ich nicht. Aber wem willst du erzählen, dass ich nicht hier wohne? Meine Sachen im Schrank, mein Foto …«
Ich beuge mich nach hinten, um das Foto vom Nachttisch zu angeln, auf dem ich in Badeanzug am Strand stehe, das Foto eines ambulanten Fotografen, das ich Jean aus Nizza als Trost bis zu meiner Rückkehr geschickt hatte.
»Bist du verrückt, das zu behalten? Ich bin abgehauen, begreifst du, was das heißt?«
»Aber, Kleines, das weiß ich erst seit fünf Minuten … Warte doch mal, lass mich das erst mal alles verdauen … Du bist ganz schön anstrengend, weißt du das?«
Und seine Hand setzt diesmal auf meinem Arm ihr Streicheln fort.
Als Jean weiterspricht, ist seine Stimme fremd, klar, hart. »Das ändert nichts. Du bleibst hier, und wenn sich die Bullen einmischen, weiß ich schon, was ich ihnen sage: Ich habe nichts zu verheimlichen. Und dich … dich werde ich auch nicht länger verheimlichen. Ich habe die Schnauze voll davon, auf Strümpfen hochzuschleichen, morgen suche ich uns eine Bleibe, in der wir beide angemeldet sind. Was wollen sie mir schon tun? Du hast ordentliche Papiere, hast du gesagt?«
»Ja, vom ersten bis zum letzten gefälscht, aber für ein Formular reicht das schon.«
»Gut. Wir werden uns schon irgendeine Geschichte ausdenken. Und während ich suche, gehst du zu deinem Macker und guckst, wie es steht. Ehrlich, Anne, er ist vielleicht schon frei, er sucht dich womöglich in Paris!«
Ich überlege: Ein Dach über dem Kopf ist hilfreich, Jean schmeißt mich nicht raus, warum soll ich nicht bleiben? Natürlich muss man zahlen, Worte und Körper liebenswert halten … Pech, trinke ich halt etwas mehr …
Aber Jean fährt fort: »Natürlich verlange ich nichts mehr von dir: Ménage à trois ist nicht mein Ding. Und dein Kerl wäre vielleicht auch nicht einverstanden. Du kommst her, du isst, du schläfst, du machst, was du willst. Ich, na ja … Weißt du, Anne, wenn du ab und zu hier vorbeikommst, auch nur für fünf Minuten, bin ich zufrieden. Weil ich dich dann sehe, höre, weiß, wie es dir geht, weiß, dass du glücklich bist. Einverstanden?«
»Hör mal, Julien ist noch nicht da, und ich bin nicht seine Frau. Ich könnte auch Nein sagen, zu ihm, zu dir, zur ganzen Welt. Seit meinem Ausbruch war ich immer nur die Lieferung, und jetzt fängst du auch noch an! Du willst mich tragen! Ach, Jean, ich möchte nur weg, zurück ans Meer, allein sein, allein, sterben …«
Ich schluchze. Jean wartet, bis ich fertig bin, dann schlägt er mir vor, rauszugehen; ich soll auf andere Gedanken kommen. Das Ding von Annie hat mich runtergezogen.
»Komm mit raus.
Weitere Kostenlose Bücher