Astrella 02 - Brudernacht
jemand warten, bis er so alt geworden war? Wo blieb die Rache, wenn er vorher starb?
Auffällig hingegen war die Todesursache: Ventilpneumothorax. Frau Klimnich hatte das Wort mit einem leichten Zittern in ihrer Stimme ausgesprochen. Ein grausamer Tod. Hatte der Täter diese Grausamkeit beabsichtigt? Wollte er damit ein Signal setzen? Wenn ja, gegenüber wem? Gegenüber dem Opfer selbst? Oder womöglich gegenüber der Öffentlichkeit?
Micha saß auf der Bettkante und grübelte. Er erkannte sich nicht wieder. Trotz dieser Nacht waren er und Maxi immer noch zusammen. Es schien gerade so, als hätte sie das Erlebnis mit Slims Bande eher einander nähergebracht. Zwar waren sie damals nicht mehr ins ›Skin‹ gegangen, sondern hatten sich zwei Straßen davor getrennt. Doch als sie sich am nächsten Tag zufällig im ›Wildwechsel‹ wiedersahen, hatten beide verlegen gelächelt und dann im selben Moment ihre Gläser in die Hand genommen. Und genau das hatte den Bann zwischen ihnen gebrochen. Es war ein wunderschöner Abend geworden. Und jeder war anschließend allein nach Hause gegangen.
Seitdem wusste Micha mehr von Maxi. Sie hatte noch zwei jüngere Schwestern und einen älteren Bruder, der bereits aus dem Elternhaus ausgezogen war. Dazuhin, was sie besonders erwähnte, eine Oma in Leutkirch, die sie immer wieder besuchte. Dies versetzte ihm einen leichten Stich, hatte er den Kontakt zu seinen Großeletern doch schon längst abgebrochen. Maxi, deren richtiger Vorname Kerstin war, arbeitete als Verkäuferin in einem Baumarkt und gestand ihm nach über einer Stunde und der dritten Cola, sie habe sich über sein Kompliment, die Frau seines Lebens zu sein, wirklich gefreut. Allerdings habe sie ihm nicht geglaubt; dafür hätten sich seine Augen viel zu offensichtlich der Größe ihrer Brüste angepasst.
Micha war bei diesem Geständnis rot geworden. Maxi hatte es mit einem verständnisvollen Lächeln quittiert. War er bis dahin doch bemüht gewesen, möglichst den Coolen rauszuhängen, so hatte er es ab da bleibenlassen. Er konnte selbst nicht sagen, was mit ihm passiert war, aber er wollte diese Frau nicht so einfach wieder aufgeben, das war ihm nun klar. Dabei imponierte ihm die Sicherheit und Zuversicht, mit der sie von einer Zukunft sprach, wenngleich diese nicht unbedingt mit einem Mann gekoppelt sein musste. Ohne dass sie ihm auch nur andeutungsweise irgendwelche Vorwürfe wegen seiner heruntergekommenen Bude, seiner Arbeitslosigkeit oder seiner Bekanntschaft mit Slim und seiner Bande gemacht hätte, schämte er sich unvermittelt dafür. Wenn er nur sicher sein könnte, was Maxi insgeheim dachte und zu tun beabsichtigte. In den letzten Tagen hatte er sich zwar manchmal eingebildet, sie zu kennen. Doch dann war ihm klar geworden, dass er sich grundsätzlich nie über etwas sicher war, was Frauen betraf. Micha erinnerte sich an die Frau in der Nachbarschaft, die ihrem Mann die Kniesehnen durchgeschnitten hatte, um ihn an weiteren Seitensprüngen zu hindern. Im Grunde genommen wollte er Maxi alles anvertrauen und hatte es sich vor vier Tagen auch fest vorgenommen. Stattdessen hatte er dann herumgedruckst, bis er erkannte, dass er eigentlich noch nie in seinem Leben zu irgendwelchen Entscheidungen fähig gewesen war. Das wiederum hatte ihn so getroffen, dass er sich bald darauf von Maxi verabschiedet hatte, wieder ganz den coolen Typ markierend. Als er in seiner Bude angekommen war, hatte er erstmals seit langen Jahren wieder einmal geflennt wie ein Waschweib. Keine halbe Stunde später war Maxi aufgetaucht, hatte keinen Ton zu seinen geröteten Augen gesagt, sondern nur: »Ich glaube, ich liebe dich, Micha.«
Seitdem war sie mehrmals auch über Nacht bei ihm gewesen. Zudem hingen neue, lichtundurchlässige Vorhänge an den Fenstern seiner Bude, die sie erst am Wochenende zusammen auf Vordermann gebracht hatten.
In diesem Moment hörte er, wie sich der Schlüssel im Türschloss drehte und Maxi ins Zimmer trat. Micha spürte viel zu deutlich, wie er sie vermisst hatte und was es hieß, wenn die Sonne plötzlich aufging. Er staunte, welch poetischer Quatsch ihm neuerdings so durch den Kopf ging.
6
»Jetzt ist es völlig dunkel«, murmelte Eck, auf dem Beifahrersitz des zivilen Streifenwagens sitzend, woraufhin Obst auf seiner Seite betont auffällig zum Fenster hinausschaute und dann laut sagte: »Bei mir auch!«
Eck lächelte müde vor sich hin, sagte aber nichts zu dem Aufheiterungsversuch seines jungen
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