Astrella 02 - Brudernacht
imponieren wollte, allein deshalb schlug doch sein Gewissen. Das war es – nicht mehr und nicht weniger.
Hohe Hecken umgaben das Haus, das an den Hang gebaut war. Wie um diesen Naturvorhang noch besser gegen Neugierige abzudichten, wuchsen direkt dahinter einige Tannen und Linden, deren Äste über den Gehweg der unterhalb des Hauses verlaufenden Straße hinausreichten. Zwei Häuser weiter endete diese in einer Wendeplatte, die vor noch nicht allzu langer Zeit angelegt worden war.
Astrella parkte sein Auto gegenüber dem Anwesen am Straßenrand. Es war kurz nach elf Uhr, und keine Wolke trübte den blauen Himmel. Nachdem er ausgestiegen war, öffnete er den Hemdknopf unter dem Krawattenknoten. Dann schaute er sich nochmals in aller Ruhe um. Es handelte sich um eine gepflegte Wohngegend am Rande von Ravensburg.
Zwei Stunden Arbeit hatten seine Nachforschungen ihn gekostet, bis er herausgefunden hatte, was er wissen wollte. Dazu hatten Anrufe beim Einwohnermeldeamt, der Telefonzentrale, dem Rentenversicherungsträger, dem Grundbuchamt sowie der örtlichen Krankenkasse gehört. Teilweise war er ohne große Schwierigkeiten an die Informationen gekommen, die er benötigte, teilweise hatte ihm Martin Eck geholfen, ohne auch nur einmal nach dem Grund zu fragen.
Lydia Wellschat lebte seit 24 Jahren unter dem Namen Emmel hier in diesem Haus, vor dem er nun stand. Ihr Mann Maurus war vor knapp zwei Jahren 74-jährig gestorben. Wie Astrella während seiner Nachforschungen erfahren hatte, handelte es sich bei diesem Haus hier um Emmels Elternhaus, in das er vor 30 Jahren, nach vielen Reisen als Weltenbummler, zurückgekehrt war. Neben dem Haus hatte er Lydia Wellschat noch ein abgelegenes Gartenhaus hinterlassen, das großzügig gebaut, aber angeblich heruntergekommen war, sowie einiges an Barvermögen.
Das alles hatte Astrella von einem gesprächigen älteren Mann erfahren, der ihn, versteckt hinter einem Fenstervorhang, aufmerksam beobachtet hatte. Also hatte Astrella die Gelegenheit beim Schopf gepackt und einfach bei ihm geklingelt. Sich als Privatdetektiv auf der Suche nach einem vermissten Hund ausgebend, hatte er im Laufe des Gesprächs auch erfahren, dass Lydia Emmel sehr zurückgezogen lebte. Astrella war das alles nur recht gewesen. Um so schneller konnte er diese Spur ad acta legen, ohne deswegen Frau Klimnich gegenüber ein schlechtes Gewissen zu haben.
Astrella stieg die seitlich am Haus emporführende Treppe zum Eingang hoch. Als er auf die Klingel drückte, hörte er im Hausinneren einen Gong ertönen. Er musste noch dreimal klingeln, bis die Tür endlich geöffnet wurde.
Die Frau vor ihm reichte Astrella gerade bis zur Brust. Erstaunt stellte er fest, dass sie bedeutend älter wirkte als 56. Ergrautes Haar, straff nach hinten gekämmt, endete in einem kleinen Knoten. Obwohl gut geschminkt, blieben Astrella die zahllosen Falten in ihrem Gesicht nicht verborgen. Indes konnte er sich ohne Schwierigkeiten vorstellen, dass sie früher einmal recht hübsch ausgesehen haben mochte. Hätte er nichts von ihr gewusst, hätte er wahrscheinlich vermutet, sie mache sich wegen irgendetwas dauernd Sorgen.
Lydia Emmel trug ein hellblaues Kleid, das gut zu ihren graublauen Augen passte. Überhaupt machte sie einen recht angenehmen Eindruck auf Astrella. Nur die übermäßig misstrauisch blickenden Augen störten ein wenig.
»Ja?«, fragte sie. Ihre Stimme klang müde, verbraucht und irgendwie zu alt für 56 Jahre.
»Entschuldigen Sie bitte, wenn ich einfach so mit der Tür ins Haus falle, aber ich suche einen Hund!«
Danach erzählte er ihr die zurechtgelegte Geschichte des verschwundenen Hundes, der von seinem wohlhabenden Herrchen so vermisst würde, dass es ihm sogar die Kosten für einen Privatdetektiv und eine hohe Erfolgsprämie darüber hinaus wert sei.
Seltsamerweise schienen sich die Gesichtszüge der Frau während seiner Erzählung von Minute zu Minute zu verhärten.
»Und warum kommen Sie damit ausgerechnet zu mir?«
Ihre Stimme klang, als wollte sie ihm in der nächsten Sekunde die Tür vor der Nase zuschlagen.
»Na ja, da der Hund in dieser Gegend zuletzt gesehen wurde, bleibt mir nichts anderes übrig, als mehr oder weniger alle Bewohner dieser und der umliegenden Straßen abzuklappern und nach dem Hund zu fragen. Und dass Sie eine der Ersten sind, bei denen ich geklingelt habe, liegt ganz einfach am Wetter. Jetzt bin ich nämlich noch frisch genug, um Treppen mit so vielen Stufen
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