Astrella 02 - Brudernacht
Hund in den vergangenen Tagen hier in der Gegend gesehen zu haben.«
»Kommen Sie viel herum?«
»Was hat das mit dem Hund zu tun?«
Astrella hörte das aufflackernde Misstrauen in ihrer Stimme.
»Grundsätzlich nichts«, antwortete er, sich um einen unbefangenen Klang in seiner Stimme bemühend. »Ich frage das nur, weil ich mir womöglich einige Häuser hier in der Nachbarschaft ersparen könnte, wenn Sie mir mit Sicherheit sagen können, den Hund in dieser Straße nicht gesehen zu haben.«
»Nein, ich gehe selten aus dem Haus.«
Es hörte sich an, als wüsste sie selbst nicht so recht, ob das nun gut war oder nicht. Astrella, dem längst klar geworden war, dass die Frau nicht viel von Hunden hielt, versuchte, sie ein wenig aus der Reserve zu locken.
»Schade!«, bemerkte er. »Ich muss Ihnen nämlich ganz offen sagen, dass ich trotz des guten Geldes, das mir der Hundehalter zahlt, keine besonders große Lust habe, nach seinem Hund zu suchen. Ich mag die Biester nicht mehr, seitdem mich einer von ihnen mal in den Oberschenkel gebissen hat. Damals war ich noch ein Kind. Aber leider kann ich mir meine Aufträge eben nicht aussuchen, sondern muss nehmen, was kommt. – Oh, haben Sie jemals einen Hund gehabt? Dann hätte ich mich jetzt natürlich ganz schön vergaloppiert.«
Astrella erkannte trotz der Schummerbeleuchtung das belustigte Lächeln um den Mund der Frau.
»Nein, nein, bewahre mich Gott vor solch einem Vieh. Ich habe auch so genug zu tun gehabt, als dass ich mich auch noch um Tiere hätte kümmern können.«
»Sie meinen, Sie haben genug Kinder gehabt? Dann ist es Ihnen genauso ergangen wie meiner Mutter. Die hatte nämlich fünf Kinder allein großzuziehen, nachdem mein Vater bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen war. Ich bin der Zweitjüngste.«
Eigentlich hatte Astrella noch hinzufügen wollen, dass seine Mutter Hunde ebenfalls nicht ausstehen konnte. Doch es gelang ihm gerade noch rechtzeitig, sich zu beherrschen. Er hatte in der letzten Viertelstunde bereits mehr als genug Nägel in das Brett geschlagen und musste darauf achten, dass er es nicht übertrieb. Außerdem hatte die Frau es nicht verdient, weiter nach Strich und Faden belogen zu werden. Schließlich hatte er bis jetzt nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür gefunden, dass sie in irgendeiner Weise etwas mit den beiden Mordfällen zu tun hatte. Wäre er noch beim Morddezernat und hätte von Frau Klimnich den Tagebuchhinweis bekommen, würde er einen jungen Kollegen beauftragt haben, kurz bei Frau Emmel vorbeizuschauen, ohne sie zu beunruhigen. Nun gut, dieses ›wäre‹ gab es nicht mehr, also war er zwangsläufig zu einem anderen Vorgehen gezwungen. Trotzdem war es wichtig, sich nicht in zu viele Lügen zu verstricken, die möglicherweise irgendwann wieder auf ihn zurückfielen.
»Nein, ich hatte keineswegs so viele Kinder wie Ihre Mutter«, erklärte Frau Emmel in diesem Moment in fast entspanntem Ton. »Ich hatte nur einen einzigen Sohn, meinen Peter.«
»Oh, ist er gestorben?«, fragte Astrella aufgrund der Zeitform, die sie gewählt hatte.
»Nein, nein, ich habe mich nur falsch ausgedrückt. Das kommt daher, dass ich seit dem Tod meines Mannes kaum mehr unter die Leute komme. Natürlich lebt Peter noch. Es geht ihm sogar wirklich gut. Wollen Sie ein Bild von ihm sehen?«
Ohne eine Antwort von ihm abzuwarten, stand Frau Emmel auf und ging zu dem Sideboard, das zwischen den Fenstern stand. Astrella stand ebenfalls auf und folgte ihr. Eine Weile betrachtete sie versonnen das Bild ihres Sohnes, schien Astrella völlig vergessen zu haben. Aufgrund des Lichtes konnte Astrella nicht viel erkennen. Er sagte es Frau Emmel.
»Oh, entschuldigen Sie bitte. Das ist auch wieder typisch: Ich kenne das Bild und brauche deshalb kein Licht, also bilde ich mir automatisch ein, anderen ginge es ebenso.«
Sie ergriff das Zugband des rechten Rollladens und zog diesen ein Stück hoch. Sofort bohrte sich ein Lichtbrett in das Zimmer, in dem Staubfussel tanzten. Astrella nahm die Fotografie, die in einem teuren, übermäßig verschnörkelten Rahmen steckte, in die Hand. Er erkannte das Gesicht eines jungen Mannes. Wäre er ihm auf der Straße begegnet, hätte Astrella ihn mit Sicherheit übersehen, wäre da nicht eine Auffälligkeit gewesen: Der Mann hatte sich mit seiner Sonnenbrille fotografieren lassen. Dies erstaunte Astrella insofern, weil es sich um eine Porträtaufnahme handelte, die in einem Fotostudio angefertigt worden war. Nur:
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