Astrella 02 - Brudernacht
hochzusteigen.«
Er lächelte sie an. Insgeheim schalt sich Astrella jedoch einen Idioten. An ihrer Stelle hätte er spätestens jetzt den ungebetenen Besucher verabschiedet. Lydia Emmel hingegen blickte ihn zwar weiterhin misstrauisch an, hatte aber die Tür ein Stück weiter geöffnet.
»Ich glaube nicht, dass ich Ihnen helfen kann. Einen solchen Hund, wie Sie ihn beschreiben, habe ich …«
Telefongeklingel ließ sie verstummen. Unentschlossen schaute sie ins Hausinnere. Direkt an den kleinen Vorraum, in dem sie stand, schloss sich eine langgestreckte, etwa zwei Meter breite Diele an, von der beidseitig abgehende Zimmertüren zu erkennen waren. Mehr konnte Astrella nicht sehen, da es im Inneren zu dunkel war.
Das Telefon klingelte zum dritten Mal.
»Der Hund hat aber einige unübersehbare Auffälligkeiten«, verstärkte er den Druck auf die Frau.
»Entschuldigen Sie bitte, aber ich muss ans Telefon«, sagte sie und trat dabei einen Schritt zurück. Gleich einem alten Schauspieler zog Astrella rasch sein Taschentuch aus der Hosentasche und gab vor, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Dabei erwähnte er leise stöhnend die Hitze.
»Kommen Sie rein«, forderte Frau Emmel ihn endlich auf. »Ich muss jetzt …«
Sie war noch keine vier Schritte gegangen, da stand Astrella bereits im Vorraum und drückte die Tür hinter sich ins Schloss. Im Stillen dankte er Bell und Hughes für die Erfindung des Telefons und dem unbekannten Anrufer dafür, sich ausgerechnet jetzt gemeldet zu haben. Er hatte bereits damit gerechnet, unverrichteter Dinge wieder gehen zu müssen. Nun, es war überflüssig, sich jetzt noch Gedanken darüber zu machen. Sein erstes Ziel hatte er erreicht: in die Wohnung zu kommen.
Astrella folgte der Frau, die soeben im Dämmerlicht des Wohnzimmers verschwand.
Als er das geräumige Zimmer betrat, sah er, dass die Rollläden der beiden großen Fenster bis auf einen kleinen Spalt heruntergelassen waren. Deshalb also die Dunkelheit. Dabei schien die Sonne noch gar nicht auf diese Seite des Hauses. Der abgestanden riechenden Luft nach kam nur selten frische Luft in diesen Raum.
Nachdem sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, konnte er einige Einrichtungsgegenstände erkennen. Offensichtlich wertvolle Möbel wie ein runder Esstisch aus Eibe und ein Sideboard aus Kirschbaum waren von billigen oder kitschigen Gegenständen flankiert, so einem eng umschlungenen Liebespaar aus Glas und einem kleinen tragbaren Fernsehgerät, das in einem Fach des eine Wandseite einnehmenden großen Schrankes untergebracht war. In dem verschwommenen Licht wirkte alles geschmacklos und vernachlässigt. Unweit des Fernsehers entdeckte er eine fächerartig gestapelte Schallplattensammlung. Lydia Emmel schien eine ausgeprägte Vorliebe für Peter Alexander zu haben. Sofort fielen ihm wieder seine Eltern ein, die diesen schauspielernden Schnulzensänger ebenfalls gemocht hatten.
Während Astrella all das mit einem schnellen Rundumblick wahrnahm, führte Frau Emmel ihr Telefongespräch. Worum es dabei ging, konnte er nicht heraushören. Nichtsdestoweniger fielen ihm die kurzen, beinahe harten Bemerkungen auf, die sie ihrem Gesprächspartner gegenüber gebrauchte. Dabei ahnte Astrella, dass das keineswegs an seiner Anwesenheit lag. Vielmehr schien es ihre Art zu sein, mit ihren Mitmenschen umzugehen. Es hörte sich an, als spräche sie nicht allzu oft mit anderen Menschen. Wahrscheinlich hatte der Nachbar mit seiner Einschätzung dieser Frau recht gehabt.
Nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, schaute Lydia Emmel ihn an, als hätte sie nicht ernstlich damit gerechnet, dass er ihrer Aufforderung folgen würde. Mit einer unbeholfenen Handbewegung bat sie ihn, in einem der dunkelbraunen Ledersessel Platz zu nehmen. Sie setzte sich ihm gegenüber, getrennt durch den massiven Holztisch. In dem dämmrigen Licht schien ihr Kleid zu strahlen; unwillkürlich dachte Astrella an ein Gespenst.
»Wie ich Ihnen vorhin schon sagte, Frau Emmel«, nahm er sofort wieder das Heft in die Hand, »weist der Hund einige Besonderheiten auf.«
»So, und welche?«
»Es handelt sich um einen schwarzen Pudel. Der linke Vorderlauf ist weiß, was sehr selten ist. Außerdem zieht er den rechten Hinterlauf ein wenig nach. Das hat seinen Grund darin, dass er vor ein paar Jahren mal unter ein Auto geraten ist. Übrigens hört der Pudel auf den Namen: ›Mylord‹.«
»Das sagt mir alles nichts. Ich kann mich nicht daran erinnern, so einen
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