Astrella 02 - Brudernacht
Astrella glaubte nicht daran.
Da ließen mehrere schallende Ohrfeigen seinen Kopf hin und her fliegen. Erst als eine herrische Stimme »Hör auf!«, befahl, wurde Astrella klar, dass Snake sich auf diese Art und Weise für die Schmerzen und Ängste gerächt hatte, die er zuvor hatte erleiden müssen. Nun dröhnte sein Schädel noch mehr, wobei die Atemnot zunahm. Er schloss die Augen, um sich wieder einigermaßen zu fangen. Als er sie wieder öffnete, hielt ihm Slim einen kleinen Gegenstand und ein Mobiltelefon vor sein Gesicht.
»Damit hast du nicht gerechnet, du Schnüffler!«, stellte er triumphierend fest.
Es dauerte eine Weile, bis Astrella in dem Gegenstand einen Minisender erkannte. Nun war alles klar. Oder doch nicht? Wo war der Sender versteckt gewesen? Wieso hatte er ihn übersehen?
Snake gab die Antwort, als hätte Astrella seine Frage laut gestellt, indem er auf einem Bein hüpfte, während er auf den oberen Innenrand seines rechten Cowboystiefels tippte. »Diese Stelle hast du vergessen, du Scheißkerl!« Es war mehr ein hasserfülltes Aufheulen.
Damit hatte Snake leider recht. Astrella schimpfte sich einen Idioten. Klar hatte er Snake in den Büschen durchsucht, bevor er mit ihm zu seinem Auto gegangen war. Dabei hatte er sogar noch überlegt, ob er Snake seine Stiefel ausziehen lassen sollte, um einen möglichen Fluchtversuch zusätzlich zu erschweren. Nur hätte er dann damit rechnen müssen, alle möglichen Leute auf sie aufmerksam zu machen, und das hatte er vermeiden wollen. Deshalb hatte er von dieser Idee wieder Abstand genommen und dabei völlig vergessen, ihn dort wenigstens zu durchsuchen. Aber ein Messer an dieser Stelle hätte ja schon gereicht. Wie jedoch kam Snake überhaupt zu dem Sender? Astrella konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Schlange tagaus,
tagein mit einem Sender im Stiefel durch die Gegend lief. Aber im Grunde genommen spielten all diese Fragen nun keine Rolle mehr. Viel wichtiger waren seine jetzige Situation und die der Frau gegenüber, die beileibe nicht aussah, als ginge es ihr sonderlich gut. Den Gesichtern der Sechs sah Astrella an, dass sie nicht vorhatten, sie beide je wieder laufenzulassen. Wenn er wenigstens reden könnte! Möglicherweise gelänge es ihm, Zeit zu gewinnen oder die Sechs sogar gegeneinander auszuspielen.
Glücklicherweise schien Slim sich entschlossen zu haben, ihm seine Klugheit zu beweisen.
»Du hast mich unterschätzt, Louis«, warf dieser ihm mit gefährlich leiser Stimme vor. In seiner rechten Hand hielt er Astrellas Ausweis.
An einer Ampel am Frauentor konnte Micha mit letzter Not einen Unfall vermeiden, nachdem er die Vorfahrt eines anderen übersehen hatte. Dessen wütendes Gehupe noch in den Ohren, tauchte der Stadtrand von Weingarten vor ihm auf. Kurz vor Baienfurt überholte er einen Kleinlaster, ohne nach vorne hin etwas sehen zu können. Es ging gut. Im Rückspiegel sah er, wie der Fahrer ihm den Mittelfinger zeigte.
»Bitte, lieber Gott, lass ihr nichts geschehen!« rief er murmelnd die Instanz um Beistand an, der er bis dahin in seinem Leben nur fluchend Reverenz erwiesen hatte. Vor ihm war die Straße frei.
»Du hast wohl gedacht, du könntest einfach in meinen Laden hereinmarschieren und mich für dumm verkaufen.«
Astrella stockte der Atem. Was hatte Slim nur vor? Es gab keinen Zweifel für ihn, den Chef der Bande vor sich zu haben.
»Aber du kennst sicher das alte Sprichwort: ›Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.‹ Und ich rieche es zehn Meilen gegen den Wind, wenn mir einer ans Leder will.«
Bei den letzten Worten hatte Slim sich etwas aufgerichtet und einen schnellen Blick in die Runde geworfen, als wollte er damit sagen, das gelte auch für seine Kumpels. Astrella bemerkte, dass nur Cash Slims Blick erwiderte. Wütend zerrte er an seinen Fesseln. Wie gern hätte er Slim entgegengeschleudert, er solle seine Schnauze halten. Dieses Tier mit seinen gläsernen schwarzen Augen sprach über und mit ihm, als wäre er einer von ihnen und nicht derjenige, der auf der anderen Seite stand und ihr größter Feind war. Astrella machte sich nichts vor. Er und die Frau würden hier nicht mehr lebend herauskommen, wenn nicht noch ein mittleres Wunder geschah. Slim schien in ihn hineinschauen zu können. Augenblicklich erinnerte er sich an die Situation in Slims Laden, als dieser um Snakes Vorhaben gewusst hatte, ohne auch nur das geringste Geräusch von diesem vernommen zu
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