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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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hatte sein
Abteilungsleiter Edwards Begeisterung für diesen Einfall nicht teilen können,
und so waren die Konstruktionspläne im »Giftschrank« gelandet. Edwards
Selbstbewusstsein hatte dadurch einen ersten schweren Knacks erlitten.
    Doch so einfach hatte er sich
nicht geschlagen geben wollen. Als gewissenhafter Mitarbeiter hatte er ein Backup
der Konstruktion bei sich zu Hause auf dem Firmenlaptop gespeichert gehabt, den
ihm sein Arbeitgeber großzügigerweise gesponsert hatte. Er hatte die Pläne
einfach ins Netz geladen und gespannt auf den Beifall der interessierten
Fachwelt gewartet. In der Tat hatte sein kleiner Coup sofort größte
Aufmerksamkeit erregt, wenn auch von unerwünschter Seite. Es hatte nicht lange
gedauert, und ein paar Bundesbeamte hatten vor seiner Tür gestanden, die recht
eindringliche Fragen stellten. Sein Abteilungsleiter hatte für seine fristlose
Kündigung gesorgt, allerdings nicht ohne Edward vorher noch vor versammelter Abteilung
als »gottverdammten Freak« zu brandmarken.
    Eine der wenigen Phiolen, die das
kärgliche Medizinschränkchen der gesammelten Gefühlswelt Edwards bereithielt,
trug die Bezeichnung »Gesteigertes Rachebedürfnis«. Keine zwei Wochen später
hatte besagter Abteilungsleiter zum Frühstück eine kleine Paketsendung
erhalten. »Persönlich« und »Vertraulich« hatte in krakeligen Großbuchstaben
darauf gestanden. In dem Paket hatte sich Edwards Erfindung befunden.
Allerdings hatte er sie so modifiziert, dass sie ausschließlich auf die Stimme
ihres Empfängers reagierte, die Edward noch in einer alten Voicemail gefunden
hatte. Durchs Okular seines Feldstechers hatte Edward sehen können, wie sein
ehemaliger Vorgesetzter im Bademantel vor seiner Haustür gestanden und das
Paket ratlos hin und her gedreht hatte. Dann hatte er nach seiner Frau gerufen
und …
    Dies war der Moment, den Edward
gern als seine zweite Geburt bezeichnete. Der kurze Ausdruck des Erkennens im
Gesicht des Mannes, als er das Zischen der Zündung wahrnahm. Und dann die
Explosion. Die Kunst bestand darin, gerade so viel Sprengstoff zu benutzen,
dass das Ziel nicht gleich starb. Dem Abteilungsleiter blieb sogar noch die
Zeit, ein paar Schritte in seinen Vorgarten zu taumeln. Erst als er sich an
einem Baumstamm hatte abstützen wollen, war ihm bewusst geworden, dass er keine
Hände mehr hatte. Er war zur Seite gefallen und hatte seinen letzten Atemzug
getan.
    Die Gefühle, die Edward empfunden
hatte, als er dies sah, konnte er noch immer kaum einordnen. Glück war für ihn
bis dahin ein Begriff gewesen, dessen Bedeutung er nur abstrakt hatte
beschreiben können, zu dem er aber keinerlei persönlichen Bezug gehabt hatte.
Er hatte gewusst, wie er zu reagieren hatte, wenn in einem Gespräch mit
Kollegen oder Freunden davon die Rede gewesen war oder wenn ihm in der
Anwesenheit anderer etwas widerfuhr, was wohl Glücksgefühle hervorrufen sollte.
Doch erst, als er diesen verhassten Scheißkerl hatte krepieren sehen, hatte er
erfahren, was das Wort wirklich bedeutete. Ein Gefühl zarter Erwartung, das
schließlich in einen tiefen, inneren Frieden mündete. Als er voller Ergriffenheit
das Fernglas in den Schoß hatte sinken lassen, hatte er warme Feuchtigkeit
zwischen seinen Beinen gespürt.
    Edward hatte die erste
Ejakulation seines Lebens gehabt.
    Er war clever genug zu wissen,
dass diese Empfindungen nichts waren, was er mit dem Großteil der Menschheit
teilen konnte. Tatsächlich war er nämlich mehr als clever. Ein richtiges Genie,
wenn man ihn nach seiner abstrakten Intelligenz beurteilte. Zwei Dinge waren
ihm sofort klar gewesen. Erstens: Er wollte dies Gefühl wieder und wieder
empfinden. Zweitens: Er würde dafür untertauchen müssen. Und das tat er mit der
Gewissenhaftigkeit des Ausnahmeingenieurs.
    Erst einmal legte er sich eine
andere Identität zu, komplett mit Sozialversicherungsnummer, biometrischem
Führerschein und einer typischen Datenspur in den maßgeblichen staatlichen
Rechenzentren. Selbst im Zeitalter der Iriserkennung war es in den Vereinigten
Staaten immer noch kein Problem, vom Erdboden zu verschwinden und sich irgendwo
anders wieder ausspucken zu lassen.
    Seinen nächsten Anschlag führte
er in Reno im Bundesstaat Nevada aus. Das Opfer war ein neununddreißigjähriger
Bankangestellter gewesen. Er war eher zufällig in Edwards Visier geraten, als
dieser versucht hatte, die beträchtliche Bargeldsumme, die er von seinem alten
Konto abgehoben hatte, für den Zeitraum seines

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