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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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vertraut vor, als hätte er erst gestern eine gesehen.
Dennoch fühlte er sich wie ein kleines Kind in einem Wunderland. Es war kaum zu
glauben, dass jedes dieser Lichter für ein Haus stand, in dem Menschen wohnten.
    Und er hatte die ganze Zeit
geglaubt, auf einer Insel in einem Meer des Todes zu leben oder auf einem
verlorenen Planeten. Nun schien es ihm, als ob er selbst der Verlorene gewesen
war. Er wünschte nur, Saïna könnte das alles sehen.
    Saïna
    Warum nur dachte er zuerst an sie
und nicht an …
    »Siehst du das dort vorn?«
    Lubansky war stehen geblieben. Er
wies mit der Hand auf etwas weiter höher.
    Torn folgte der Richtung. »Meinst
du das grüne Licht dort oben?«
    »Genau.«
    »Was ist damit?«
    »Das ist die Stadtgrenze. Wenn du
die passierst, bist du drinnen.«
    »Kommst du nicht mit?«, fragte
Torn.
    »Nein, das ist nicht meine Welt.
Ich kehre wieder um. Ab hier schaffst du es allein.«
    Torn konnte nicht verstehen, wie
man auf dieses verheißungsvolle Meer der Lichter sehen konnte, ohne den geringsten
Reiz zu verspüren, darin einzutauchen und zu erkunden, was es damit auf sich
hatte.
    »Warum begleitest du mich nicht
in die Stadt? Wir könnten deinen Kameraden gemeinsam berichten.«
    »Auf gar keinen Fall betrete ich
die große Hure«, sagte Lubansky. Seine Stimme, die bisher immer abgeklärt und
ruhig geklungen hatte, zitterte auf einmal vor Zorn.
    »Sorry. Ich wollte deine Gefühle
nicht verletzen.«
    »Hast du nicht«, behauptete
Lubansky. Er schien wieder ganz ruhig. Der seltsame Moment war vorbei.
    »Warum …?« Torn wusste nicht, wie
er den Satz zu Ende bringen sollte, doch Lubansky begann von allein zu reden.
    »Mein Sohn. Er war einer von
denen, die niemals zurückkehrten. Zuerst habe ich ihn angefleht, nicht hierhin
zu gehen. Ich wusste nicht einmal, warum. Es war nur so ein Gefühl. Aber er
wollte nicht auf mich hören. Er ist in Asylon geboren und kannte nichts
anderes. Er dachte, dass hier so eine Art Paradies auf ihn wartet. Wir haben
uns gestritten. Hat mich einen alten Feigling genannt. Schließlich habe ich es
ihm verboten. Aber er ist mit seinen Kumpels einfach heimlich abgehauen. Alles
junge Kerle genau wie er. Wir haben keinen von ihnen je wiedergesehen.«
    Er starrte an Torn vorbei in die
Nacht. Seine Augen schimmerten im Mondschein. Torn hatte das Gefühl irgendetwas
sagen zu müssen, aber er hielt lieber den Mund. Schließlich atmete Lubansky
tief durch und trat auf Torn zu. Zu dessen Überraschung umarmte ihn der
knorrige Mann.
    »Viel Glück, Bruder«, sagte er
schließlich, bevor er ihn wieder losließ.
    »Danke«, murmelte Torn, noch
immer verwirrt über den unerwarteten Beweis der Zuneigung.
    Ohne ein weiteres Wort drehte
sich Lubansky um und wanderte die Straße zurück. Torn starrte ihm schweigend
nach. Dann schoss ihm plötzlich ein Gedanke durchs Hirn.
    »Lubansky!«, brüllte er.
    »Ja, was ist?«, rief der Mann
zurück, ohne in seinem Marsch innezuhalten.
    »Wie heißt die Stadt eigentlich?«
    »Das ist Los Angeles, die
Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Mexifornia.«
    Er ging weiter. Torn drehte sich
wieder um.
    »Los Angeles«, flüsterte er
begeistert, das funkelnde Lichtermeer vor Augen.
    Dann marschierte er los.

    Leichen.
    Sie waren überall.
    Vor ihr. Neben ihr. Hinter ihr.
    Sie hingen an Drähten von der
Decke. Sie klebten an der Wand, festgehalten von irgendeiner grausamen Macht.
Sie lagen auf dem Boden, einzeln oder in Haufen aufgetürmt.
    Und sie verwesten.
    Manche offenbar schon seit
Jahren.
    Der Gestank war unerträglich. Er
hing im Raum wie der faulige Atem eines Dämons. Noch unerträglicher aber war
das, was die Verwesung aus den armen Menschen gemacht hatte. Direkt vor ihr
hing der Körper eines Mannes. Er war so aufgedunsen, dass der staubige Anzug,
in dem er steckte, in sein faules Fleisch schnitt wie Draht. Eines seiner Augen
fehlte. Maden füllten das dunkle Loch, in dem es einmal gesteckt hatte.
    Dann fiel Saïnas Blick auf die
Sekretärin. Sie lag rücklings auf einem Haufen aus einem halben Dutzend Leichen.
Jemand musste sie mit roher Gewalt von dem Tisch gezerrt haben, sodass die
Nägel klaffende Löcher in ihre Armen und Beine gerissen hatten. Saïnas Magen
drehte sich um, und sie übergab sich auf den gefliesten Boden. Als sie sich
wieder aufrichtete, tanzten vor ihren Augen Sterne. Die Sinne wollten ihr
schwinden.
    »Sind sie nicht wunderschön?«
    Der Klang der Stimme verpasste
ihr einen Adrenalinstoß. Sie fuhr herum.
    Der

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