Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
Vom Netzwerk:
hiesigen Aufenthaltes in einem
Fond zwischenzuparken. Die beiden waren ins Gespräch gekommen, und der
Bankangestellte mit Namen Tim oder Tom oder so ähnlich hatte von seiner Liebe
für seinen Wohnort erzählt, der sich, nah an der kalifornischen Grenze gelegen,
an die ersten schneebedeckten Ausläufer der Sierra Nevada schmiegte. Jeden
Morgen, so hatte der Mann erzählt, ging er den halbstündigen Weg von seiner
kleinen Hazienda, wie er sie nannte, zu Fuß zur Bank; das ließ er sich nicht
nehmen.
    Edward hatte ihm gespannt
gelauscht. Es hatte ihn einen Tag gekostet, die Marschstrecke auszubaldowern,
und zwei weitere Tage, um einen gut überschaubaren Platz zu finden, wo sich die
Mine platzieren ließ. Besonders stolz war er auch diesmal auf die
Zündvorrichtung. Er hatte sie auf das akustische Schrittmuster von Tim oder Tom
oder wie immer der Kerl auch hieß, programmiert, das er aufgezeichnet hatte,
während er dem Mann heimlich verfolgt hatte; es war kaum weniger individuell
als der Fingerabdruck eines Menschen. Während Edward in seinem gemieteten Ford
Esteem auf der Lauer gelegen hatte, passierten drei Fußgänger unversehrt den
verwaisten Postkasten, in dem er den Mechanismus platziert hatte.
    Befriedigt sann Edward darüber
nach, wie dankbar sie ihm gewesen wären, hätten sie gewusst, dass sie ihr Leben
nur seinem Ingenieursgeschick und seiner disziplinierten Arbeit zu verdanken
hatten. Zur Sicherheit hatte er einen zweiten Zündschaltkreis eingebaut, der
mit einer Fernsteuerung verbunden war. Überflüssig. Der Knall zerriss die Luft
kaum, dass Tim – oder eben Tom – den berechneten Punkt passiert hatte. Ein Teil
des Postkastens hatte anschließend in seiner Brust gesteckt.
    Von da an hatte Edwards Leben aus
nichts anderem mehr bestanden als der Jagd nach neuen Opfern und der Konstruktion
der ausgefallensten Minen und Sprengfallen, die die Menschheit je gesehen
hatte. Selbstverständlich hatte es nicht lang gedauert, bis die Öffentlichkeit
auf ihn aufmerksam geworden war. In Anlehnung an ein historisches Vorbild und
unter Anspielung auf seine in seinen Konstruktionen erkennbare Vorliebe für ein
bestimmtes, uraltes Betriebssystem hatten ihn die Zeitungen den Unixbomber
genannt. Auch die Sicherheitsbehörden hatten seine Karriere und ihn selbst mit
allergrößter Aufmerksamkeit verfolgt. Doch Edward war ihnen bis zum Ende immer
einen Schritt voraus gewesen. Dies verdankte er nicht zuletzt seiner aufmerksamen
Lektüre jedweder Abhandlung über das Phänomen Serienmord, derer er habhaft
hatte werden können.
    So hatte er schnell gelernt, dass
es darauf ankam, Muster zu vermeiden. Bundy, Dahmer, BTK , Son of Sam,
Green River Killer, Killer Clown Gacy … Alle waren sie letztlich über ihren
Hang zur Wiederholung gestolpert. Ein Grundsatz, den er verinnerlichte wie eine
Religion. Keiner seiner Wege war vorhersagbar. Er hatte sich allein vom Zufall
über die weite Landkarte der Vereinigten Staaten treiben lassen. Mal handelte
er in Großstädten, mal in abgelegenen Kaffs. Manchmal entschied er sich mitten
auf dem Weg zu einem Ziel für einen anderen Ort. Die Zeitpunkte seiner
Anschläge bestimmte eine Software, die er eigens zu diesem Zweck entwickelt
hatte. Seine Opfer wählte er spontan und ohne System: Männer, Frauen, Alte,
Junge, Reiche, Arme, Schwarze, Weiße. Sein Unterbewusstsein sagte ihm jedes
Mal, wenn er den Richtigen gefunden hatte. Sein Mangel an Vorhersagbarkeit
belohnte ihn mit einer Karriere von großer Dauer.
    Am Ende war es gerade sein
Freund, der Zufall, der ihn zum Straucheln brachte. Einer
Bibliotheksangestellten in Pensacola, Florida, waren seine besonderen literarischen
Interessen aufgefallen. Drei Tage plagte sie sich mit der Frage, ob darin
überhaupt irgendetwas Verdächtiges lag. Dann teilte sie sich ihrem Verlobten
mit, einem jungen FBI -Beamten, der im lokalen Büro in Jacksonville neben
anderen Angelegenheiten auch mit Edwards Fall befasst war. Sein dreißigstes
Opfer, ein pensionierter Fluglehrer, zweifacher Vater und sechsfacher Großvater
war zugleich auch sein letztes.
    Edward hatte sich unmittelbar
nach jedem Anschlag seiner gesamten Logistik entledigt. Auch diesmal war es ihm
gelungen, alle Überreste seiner Bastelei zu entsorgen, noch bevor das FBI ihn festnahm. So wurde das Verfahren gegen ihn ein reiner Indizienprozess. Der
schlagendste Beweis war eine Kreditkarte, die er – unvorsichtigerweise, wie er
sich selber gegenüber zugeben musste – über mehrere Monate

Weitere Kostenlose Bücher