Asylon
hinweg benutzt hatte
und deren Abrechnungsdaten deutlich mit der vermuteten Reiseroute des gesuchten
Killers übereinstimmten. Kaum von der Hand zu weisen war auch das Argument der
Anklage, dass die Anschlagsserie mit seiner Festnahme augenscheinlich zu einem
Ende gekommen war. Trotzdem war die Presse während seines Verfahrens durchaus
geteilter Meinung hinsichtlich seiner Schuld.
Keinen geringen Beitrag zur
Spaltung der öffentlichen Meinung trug sicherlich sein bescheidenes und freundliches
Auftreten vor Gericht bei. Die Mischung aus stiller Verzweiflung und demütiger
Schicksalsergebenheit, die er im Zeugenstand zur Schau stellte, empfand er
selbst als seine vielleicht größte Meisterleistung.
Dies war der Punkt, an dem Billy,
sein kleiner Bruder, ins Spiel gekommen war. Aus Gründen, die Edward nie ganz
verstanden hatte, war er selbst schon als Kleinkind vom Radarschirm der
elterlichen Fürsorge verschwunden, fast so, als wäre er ein autarkes System,
das man nicht viel mehr als füttern und zur Schule schicken musste. Ähnlich
unklare Motive bewogen seine Eltern dazu, das offensichtlich durchaus
vorhandene Füllhorn ihrer elterlichen Zuwendung ohne jedes Maß über dem kleinen
Billy auszuschütten, der vom Tag seiner Geburt an ihr Liebling gewesen war.
Edward hatte sich daran nicht gestört. Nein, wirklich nicht. Zuwendung, ob
elterliche oder sonstige, verstörte ihn zutiefst. Und Billy schien sie auch
alles andere als gutzutun.
Während Edward die Pubertät und
seine Schulzeit mit der Präzision und Unbeirrbarkeit eines Schweizer Uhrwerks
durchlief, eckte Billy an, wo er nur konnte. Streit mit den Eltern führte zu
falschen Freunden. Falsche Freunde führten zum Drogenkonsum. Drogenkonsum
führte zu adoleszenter Auflehnung gegen irgendein obskures Establishment.
Schulabbruch. Noch mehr Drogen. Scheitern beim Aufbau einer Existenz als
»Künstler«. Politisches Engagement in linken Kreisen. Edward war nachhaltig
fasziniert von der Geradlinigkeit, mit der sein kleiner Bruder auf eine
Karriere als kompletter Loser mit kleinkriminellen Allüren zusteuerte. Seine
unerschöpfliche Faszination für den armen Billy und dessen soziale Kapriolen
waren in der ansonsten recht eindimensionalen Welt seiner Gefühle wohl das, was
für andere die Zuneigung zu geliebten Mitmenschen war.
Billy wiederum liebte und
bewunderte seinen älteren Bruder mit ganzer Hingabe. Es war daher keine große
Überraschung, dass Billy inbrünstigst an die Unschuld seines großen Bruders
glaubte. Und getreu seiner Neigung zum Politisieren war das Erste, was er tat,
als er von Edwards Festnahme und den Anschuldigungen gegen ihn hörte, die
Gründung eines Komitees zu seiner Befreiung. Bald waren sämtliche Klotüren der
alternativen Szenekneipen des Landes übersät mit »Free Eddy«-Aufklebern.
Doch das Plakateschwingen und
Parolenschreien genügte Billy schon nach kürzester Zeit nicht mehr. Es dürstete
ihn nach Taten. Die Gelegenheit zum Handeln hielt er für gekommen, als die
staatlichen Organe Edward aus dem Bundesgefängnis in Coleman in eine andere,
dem Gerichtsort näher gelegene Hochsicherheitsanstalt überführen wollten.
Billys Befreiungsplan indes war
um nichts weniger dilettantisch als seine allgemeine Lebensführung. Zwar gelang
es ihm und seinen Kumpanen, den Transporter durch einen fingierten
Verkehrsunfall festzunageln, doch ihre kleinkalibrigen Pistolen scheiterten an
der massiven Panzerung und dem schusssicherem Glas des Wagens. Nicht einmal zu
ein paar verletzten Wachmännern reichte es. Nun, immerhin hatte Billy mit
seiner Aktion dafür gesorgt, dass sie ihre nächste Reise gemeinsam hatten
antreten dürfen.
Nun war Edward hier, in seinem
eigenen Reich, bei seinen Trophäen. Anfangs hatte ihn der Geruch gestört, den
diejenigen von ihnen verströmten, die schon etwas länger hier logierten.
Mittlerweile aber gab es für ihn nichts Erregenderes als diesen Duft.
Eine Bewegung riss ihn aus seinen
Gedanken. Es war die Tür, die er zuvor einen Spaltweit geöffnet hatte. Sie
wurde noch weiter aufgedrückt.
Jemand trat in den Raum.
Die Frau, auf die er gewartet
hatte …
Etwa drei Stunden
später hatte sich Lubanskys Prophezeiung erfüllt. Die Dunkelheit war voller
Lichter, und es wurden mit jedem Meter, den sie zurücklegten, mehr. Bald
füllten sie den ganzen Horizont aus. Neben der Straße verlief seit einigen
Meilen eine Hochspannungsleitung. Torn hatte fast vergessen, wie so etwas aussah,
aber nun kam sie ihm so
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