Asylon
Gouverneur. Seine linke Hand
lag auf Poosahs Schultern. Er hatte ihr Augen und Mund verbunden. Selbst im
dämmrigen Licht der Kerzen, die überall im Raum verteilt waren, konnte Saïna
sehen, dass das Mädchen zitterte.
»Gib sie mir«, sagte sie.
»Das kann ich nicht«, antwortete
er. Hätte sie es nicht besser gewusst, sie hätte geglaubt, echtes Bedauern in
seinem Blick zu erkennen.
Saïna wusste, dass es keinen
Zweck hatte, mit ihm zu diskutieren. Der Mann war ein Wahnsinniger. Sie
richtete die Pistole auf ihn.
»Zum letzten Mal!«, sagte sie.
»Gib sie mir!«
Er schüttelte missbilligend den
Kopf. »Ein Bluff muss das Potenzial haben, deinen Gegner überzeugen zu können,
sonst ist er wertlos.«
»Wer sagt, dass ich bluffe? Gib
mir das Mädchen, oder ich schicke dich zu deinen Freunden hier.«
»Das wirst du nicht«, sagte er
grinsend.
»Und woher willst du das wissen?«
Er zog seine rechte Hand ein
Stück hinter Poosahs Rücken hervor, sodass sie das Messer darin blitzen sehen
konnte. »Du müsstest schon eine sehr geübte Schützin sein, um mich so zu
erwischen, dass ich nicht mehr zustechen kann«, sagte er spöttisch.
Saïna biss sich auf die Lippen.
Er hatte recht. Selbst wenn es ihr gelang, die Pistole abzufeuern, riskierte
sie bei ihren Schießkünsten, sogar Poosah zu erwischen.
»Ich sehe, ich habe mit meiner
Vermutung ins Schwarze getroffen«, stellte er trocken fest. »Und jetzt gib mir
die Waffe, bevor ich der Kleinen einen zweiten Lungenzugang verpasse.«
Er zog Poosah zu sich, umfasste
sie mit dem Arm und presste ihr das Messer gegen die Seite. Durch den Knebel
war ein ersticktes Quietschen zu hören.
»Okay. Ich gebe dir die Pistole,
aber dann musst du das Mädchen laufen lassen.«
»Hm …« Er legte die Stirn in
Falten, als müsste er über ihren Vorschlag nachdenken. »Von mir aus. Aber jetzt
gib mir erst mal die Knarre.«
»Woher weiß ich, dass du dich an
den Handel hältst?«, fragte sie.
»Keine Ahnung. Ich könnte dir ja
mein Psychopathenehrenwort geben, was hältst du davon? Wie auch immer – wenn
du nicht bis drei die Waffe auf den Boden gelegt und zu mir rübergeschoben
hast, gibt es keinen Handel, weil sie dann sterben wird. Eins …«
Er drückte das Messer noch etwas
fester in Poosahs Seite. Saïna sah, wie sich die Kleine in seinem Griff wand,
aber er war viel zu stark für sie.
»Zwei.«
Sie wusste, dass sie verloren
hatte. Vorsichtig legte sie die Waffe auf den Boden und kickte sie zu ihm hinüber.
Die Pistole schlitterte ihm direkt vor die Füße.
»Gut gezielt«, lobte er mit
feistem Grinsen. Er lockerte den Griff um Poosah, schob sie ein Stück von sich
weg, ohne sie gänzlich loszulassen, bückte sich und hob die Waffe auf, um sie
neugierig zu betrachten.
»Zwei Magazine, eins mit
Elektroschockpatronen, um den Gegner nur zu betäuben. Das ist absolute
Hightech-Ware. Woher hast du das Ding?«
»Lass Poosah gehen!«, zischte
Saïna wütend.
»Moment noch. Ich muss das hier
erst ausprobieren.«
Bevor Saïna irgendwie reagieren
konnte, hob er die Waffe und gab einen Schuss auf sie ab.
Sie spürte einen Schlag gegen die
Rippen, dann fuhr ihr ein heftiger Schmerz durch alle Glieder bis hoch ins
Gehirn.
Sie spürte nicht mehr, wie sie
auf dem Boden aufschlug.
Warren McDunn,
Vorstandsvorsitzender von SecuCorp, saß in dem Ledersessel seines Büros in der
fünfzigsten Etage des SecuCorp-Towers. Er knüllte ein Papier zusammen und warf
es in den Korb, in dem sich bereits etliche Fehlversuche sammelten.
»Mr. McDunn, Sir?«
Auf dem Bildschirm auf seinem
Schreibtisch erschien das aufgeregte Gesicht eines Sicherheitsbeamten. Er erkannte
ihn. Es war einer von denen, die die Stadtgrenzen überwachten.
»Ja, was ist denn?«
»Wir haben einen Übertritt aus
Asylon.«
»Schon wieder? Wer ist es
diesmal?«, sagte er mürrisch.
»Ein gewisser William Curtis.«
»William Curtis?« Er rieb sich
die Schläfen. »Das kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Einlieferung vor fünf Jahren
wegen versuchter Gefangenenbefreiung. Er wollte seinen Bruder Edward rausholen,
einen berüchtigten Serienmörder. Er, sein Bruder und seine Komplizen sind
damals zusammen in einem Transport hergeschafft worden. Aber es war nicht
irgendeiner.«
»O nein«, stöhnte Warren McDunn.
»Sagen Sie nicht, es war der Hoff-Transport.«
»Ich bedauere, Sir. Genau der.«
»Okay, hören Sie mir jetzt genau
zu: Holmes ist in der Stadt.«
»Tatsächlich, Sir?«
»Ja. Kontaktieren Sie ihn
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