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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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Im Konferenzzimmer gab es ein Fernsehgerät, und so hatte er mitverfolgen
können, wie die Suche nach ihm langsam abflaute.
    Fast zwei Tage lang hatte er nur
von Wasser und den Blättern einer Zimmerpalme gelebt. An diesem Abend – es war
inzwischen Sonntag – hatte er bei einem etwas ausgedehnteren Streifzug zufällig
eine kleine Büroküche entdeckt und darin den Kühlschrank.
    Er hatte sich den Magen und
danach die Taschen vollgestopft, so gut es ging. Wahrscheinlich würde die Belegschaft
irgendwann am Morgen zur Arbeit erscheinen. Also beschloss er, das Büro etwa um
vier Uhr zu verlassen, wenn es draußen noch dunkel war. Bis dahin würde er sich
noch etwas Ruhe und Zeit für ein paar Gedanken gönnen, die er bisher
hintangestellt hatte.
    Zuerst rekapitulierte er seine
Lage. Jahrelang hatte er in jener Stadt gelebt, die er bis vor vier Tagen für
die letzte der Erde gehalten hatte. Der Verlust seines Kindes, Yvettes Tod,
dass man ihm den Job genommen und für vogelfrei erklärt hatte und nicht zuletzt
die Begegnung mit Saïna hatten letztendlich dazu geführt, dass sein gesamtes
Weltbild – und auch das Bild, dass er von sich selbst gehabt hatte – auf den
Kopf gestellt worden war. Dann war er mit Scooters Hilfe Rygor und diesem Kind
– seinem Kind, wie er inständig hoffte – nach draußen
gefolgt. Scooter hatte ihm gegenüber erklärt, dass er – Torn – noch ein anderes
Leben gehabt hatte, ein Leben, das er geführt hatte, bevor seine Erinnerung einsetzte.
Und er war überzeugt davon gewesen, dass die Außenwelt nicht in dieser
Umweltkatastrophe untergegangen war, die man den Surge nannte.
    Torns Flucht hatte ihm das
bestätigt. Zunächst hatte er festgestellt, dass er nicht der einzige Flüchtling
war. Die Stadt, aus der er kam, hatte draußen einen Namen – Asylon.
    Nun war er in einer anderen,
völlig intakten und lebendigen Stadt namens Los Angeles gelandet, die in so
vielen Dingen ein vollkommenes Gegenbild zu Asylon war. Die Menschen schienen
zufrieden und wohlhabend. Sie lebten in einer reichen und technisch
fortgeschrittenen Welt. Nur war er in dieser Welt leider ein Fremdkörper, ein
Virus, der die Abwehrkräfte seines neuen Wirtskörpers aktiviert hatte. Das war
alles andere als angenehm, aber immerhin passte es zu Scooters Vermutung, dass
sie in Wirklichkeit alle Widerstandskämpfer waren und Asylon eine Art Camp der
Verbannten war, oder ein Gefängnis, wie Beck behauptet hatte. Dass man ihn zu
jagen begonnen hatte, kaum dass er in Los Angeles angekommen war, legte
jedenfalls nahe, dass man ihn hier irgendwie in Erinnerung behalten hatte, nur
eben leider in schlechter.
    Was sollte er tun? Zurück nach
Asylon? Niemals. Zurück in die Wüste zu Beck und seinem Dorf? Das war wie ein
Leben in der Steinzeit, mit der Zivilisation direkt vor dem Höhleneingang. Er
sah wieder hinaus auf die Stadt. Und ein Gedanke wurde zur Gewissheit: Diese
Welt war sein Zuhause. So empfand er, seit er vor drei Tagen den Fuß in die
Stadt gesetzt hatte. Es war die unverrückbare Wahrheit. Fast spürte er
Erleichterung bei dieser Erkenntnis.
    Seine Verfolger? Er würde einen
Weg finden müssen, sie abzuschütteln. Doch vor allem gab es jemanden, der ihn
brauchte. Ein kleines Kind in einer Tasche, von Rygor zur Ware erklärt. Sein Kind.
    Torn schreckte hoch und merkte,
dass er mit geschlossenen Augen dagesessen hatte, schon halb in Traumbildern
versunken. Langsam erhob er sich aus dem Schreibtischstuhl, warf die Überreste
seiner Mahlzeit in einen Papierkorb und begab sich zu seiner Schlafstätte,
einer breiten Ledercouch in der Etagenlobby, direkt gegenüber den
Fahrstuhlschächten. Von dort aus konnte er Eindringlinge rechtzeitig bemerken,
so hoffte er jedenfalls.
    Er legte sich hin und machte es
sich so bequem, wie das Möbel es zuließ. Sein Gewicht brachte das Leder zum
Quietschen. Unwillkürlich fiel sein Blick auf das Bild einer der Inhaberinnen
der Unternehmensberatung, die in diesen Büros residierte. Die hohen
Wangenknochen kamen ihm bekannt vor. Woher nur?
    Dann fiel es ihm ein.
    Saïna, die Hausmeisterin.
    Er fragte sich, wo sie in diesem
Moment wohl sein mochte. Ob sie den Tod ihrer Freundin hatte aufklären können?
Er gähnte und schloss die Augen. Seine Gedanken begannen wegzudriften, dann
schlummerte er ein.
    Zehn Stockwerke unter ihm setzte
sich einer der Fahrstühle nahezu lautlos in Bewegung und folgte einem Ruf ins
Erdgeschoss.

    Ungeduldig wartete
Rygor, wie die Anzeige abwärts

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