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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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andere,
um dann laut fortzufahren: »Wo wir gerade beim Thema sind, haben Sie sich um
seine Frau gekümmert, wie wir es verabredet hatten?«
    »Es wurde alles wunschgemäß
erledigt. Ich habe ihn über den Vorfall informiert.«
    Die Art, wie Grosse das Wort
»Vorfall« betonte, legte Saïnas Ansicht nach nahe, dass es um irgendeine
Sauerei ging. Nun ja, es wäre nicht die erste gewesen, in die Grosse verstrickt
war.
    »Und wo haben Sie das …?«, begann
der Unbekannte, brachte den Satz aber nicht zu Ende, als wollte er das Wort
nicht aussprechen, worum auch immer es ging.
    »Oh, es wartet an einem sicheren
Ort im Krankenhaus auf Sie.«
    »Ausgezeichnet. Haben Sie alle
Tests selbst durchgeführt?«
    »Selbstverständlich«, antwortete
der Doktor. »Es ist für eine Weitergabe nach draußen bestens geeignet.«
    »Gut. Hier ist schon einmal Ihr
Anteil. Nur zu, alter Knabe. Zählen Sie ruhig.«
    Saïna konnte ein Rascheln hören
und wusste genau, was dort oben gerade den Besitzer gewechselt hatte. Die Frage
lautete nur: wofür?
    Weitergabe?
Vorfall?
    Sie wurde aus dem Gespräch nicht
schlau. Und was hatte das alles mit Lynn zu tun?
    In diesem Moment trat der zweite
Mann näher an die Bahre heran und stellte sich neben den Doktor. Saïna konnte
gerade noch ihre rechte Hand in Sicherheit bringen, als sich sein Fuß etwas
tiefer unter das Gestell schob. Um nicht bemerkt zu werden, musste sie eine zunehmend
angespanntere Körperhaltung einnehmen. Sie spürte, dass ihr der Schweiß auf der
Stirn perlte, und sie fragte sich, wie lange sie in dieser Stellung noch würde
verharren müssen.
    »Und? Alles in Ordnung?«, fragte
der Fremde.
    »Ich denke schon«, antwortete Dr.
Grosse.
    »Nun, großartig. Ich weiß jetzt
auch, wie wir mit dieser Leiche verfahren werden.«
    Eine böse Vorahnung stieg in
Saïna auf und erhöhte ihre Anspannung noch.
    »Wie darf ich das verstehen?«,
fragte Grosse über ihr nervös.
    »Angesichts der unbefriedigenden
Sicherheitsmaßnahmen in diesem Raum gehe ich lieber kein Risiko ein. Sie werden
den Körper jetzt sofort zur Kremierung schaffen. Ich helfe Ihnen.«
    Saïna fuhr der Schreck in alle
Glieder und ließ ihre Haut prickeln.
    »Ich? Aber das ist keine
Tätigkeit für einen Chefarzt«, protestierte Grosse schwach.
    »Ich denke«, antwortete der
Fremde schneidend »angesichts der Summe, die Sie gerade kassiert haben, können
Sie Ihren Ärger nachher in der Krankenhausapotheke etwas mildern. Auf die
entsprechenden Mittelchen haben Sie ja Zugriff. Also los jetzt!«

    Einer Zusammenkunft
aller Clanchefs beizuwohnen, war fraglos ein überwältigendes Erlebnis. Unter
anderen Umständen hätte Torn es vielleicht sogar ein wenig genossen. Allein
schon der Ort, hoch oben über der Stadt, war etwas Besonderes. Zwar stand Torn
als Mitglied der Leveller selbst eine Wohnung an der Oberfläche zu, aber dort
war die Außenhaut, die quasi das Dach der ganzen Stadt bildete, nichts weiter
als eine schwarze Fläche aus Teerpappe, die hin und wieder von Aufgängen, Abzügen
und illegalen Terrassen unterbrochen wurde. Sein Privileg gegenüber der
Restbevölkerung bestand in kaum mehr als der Möglichkeit, jederzeit den Himmel
sehen zu können. Doch allein das war schon ein unverschämter Luxus, bedachte
man, dass zu den Bewohnern der tieferen Schichten der Stadt nie auch nur ein
Sonnenstrahl drang. Gegen den Versammlungsort der Clanchefs aber war auch das
nur kümmerliche Magerkost.
    Hoch auf dem Dach eines Gebäudes,
das als einziges die Außenhaut um viele Stockwerke überragte, hatten die
Clanchefs einen riesigen Garten anlegen lassen. Ein offener Fahrstuhl an der
Außenseite der mächtigen Struktur brachte den Besucher an den Rand dieses
Daches. Dort tauchte man zunächst in einen kleinen Wald ein, der sich
schließlich zu einer großzügigen Lichtung öffnete, dem Herz der Anlage. Soweit
Torn sich erinnern konnte, war dies der einzige Ort der Stadt, in dem Pflanzen
nicht ein vereinzeltes Dasein in irgendeinem Behältnis unter künstlicher
Bestrahlung fristeten. Diejenigen, denen es vergönnt war, hier zu weilen,
konnten sich einen Eindruck davon verschaffen, wie es früher jenseits der
Stadtgrenzen ausgesehen haben mochte, bevor der größte Teil des Lebens auf der
Erdoberfläche in einer menschenerzeugten Glutwolke verbrannt war.
    Unter der Außenhaut schien die
Stadt nur aus künstlichem Licht und Schattierungen von Grau zu bestehen. Hier
oben aber war es, als hätte ein verschwenderischer Schöpfer die

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