Asylon
bis
dahin gewickelt war. Ein überraschtes Raunen ging durch die Reihen der
Clanchefs, einige von ihnen sprangen sogar schockiert auf.
Auf der Tischplatte lag Emiliano
Sputano, dessen blicklose Augen in den Himmel über ihnen starrten, zwischen
ihnen das Einschussloch. Ein roter Strom zog sich von dort über Emilianos
Gesicht. Vittorio sandte den Hünen mit einer weiteren Handbewegung in den
Schatten zurück, aus dem er getreten war.
Selbst Feng, Vittorio Sputanos
ärgster Konkurrent, war von seinem Platz aufgesprungen. »Wer hat das getan?«,
rief er in perfekt gespielter Empörung an Vittorio gerichtet.
Statt eine Antwort zu geben,
erhob sich dieser ebenfalls und richtete einen Finger anklagend auf Torn.
Schlagartig hefteten sich alle Blicke auf ihn. Für einen kurzen Moment hatte er
das Gefühl, im Kreuzfeuer einer ganzen Armee zu stehen. Mit wackligen Beinen
erhob er sich und spürte im Aufstehen, wie sich Vanderbilts schmale Hand auf
seine Schulter legte, um ihn mit sanfter Gewalt wieder auf seinen Platz zu
drücken. Doch Torn wusste, dass er sich vor diesem Gremium nur selbst verteidigen
konnte.
»Das war ich nicht!«, rief er in
die Runde.
Vittorios Miene zeigte für einen
kurzen Moment fast so etwas wie Belustigung. »Interessant.« Er verschränkte die
Arme vor der Brust. »Ein halbes Dutzend Männer war dabei, als du die Waffe auf
meinen Sohn gerichtet hast. Sie haben gehört, wie du ihn mit dem Tode bedroht
hast, und sie können bezeugen, dass du es warst, der ihn niedergeschossen hat.«
»Der Schuss kam nicht aus meiner
Waffe.«
Es war die reine Wahrheit, und
trotzdem musste er sich selbst gegenüber zugeben, wie lächerlich das klang. Die
empörten Zwischenrufe aus den Reihen der Clanchefs waren Beleg dafür, dass sie
es kaum anders sahen.
»Innerhalb von weniger als zwei
Monaten ist dies der dritte Sohn, den du mir nimmst. Ich habe nunmehr nichts
als Töchter.«
Da war keine Trauer in seinen
Augen. Aber das hätte Torn auch nicht erwartet. Die Kinder eines Clanchefs waren
nicht mehr als politische Verfügungsmasse, lediglich Schachfiguren in seinem
Spiel um die Macht. Und Torn hatte eine breite Bresche auf Vittorios Hälfte des
Spielbretts geschlagen. Zweifelsohne ein Grund für reichlich Zorn.
»War dein heutiges Handeln durch
einen Inequismus gerechtfertigt?«, fragte ihn Vittorio.
Torn war mittlerweile überzeugt,
dass der Ausgang dieser Veranstaltung schon festgestanden hatte, bevor sie
begonnen hatte, dennoch wollte und konnte er den Vorwurf eines willkürlichen
Mordes nicht auf sich sitzen lassen.
»Als dein Sohn starb, war er
gerade damit beschäftigt, unschuldige Mädchen zu quälen. Er übergoss sie mit
Benzin und zündete sie an.«
Zu aller Überraschung sprang
Vittorio quasi aus dem Stand auf dem Tisch und lief mit stampfenden Schritten
quer über die Platte zu Torn hinüber, als wollte er sich auf ihn stürzen. »Aha.
Endlich kommen wir der Wahrheit näher!«, trumpfte er auf. »Und du hast dich zum
Richter aufgeschwungen und ihn bestraft, weil er sich mit ein paar
drittklassigen Schlampen amüsiert hat, denen niemand auch nur eine Träne
nachweint!«
Torn ließ sich mit seiner Antwort
bewusst ein wenig Zeit. Er drückte sein Rückgrat durch und hielt Vittorios
wütenden Blicken stand. Niemand der Anwesenden sollte ihn für einen Feigling
halten, denn dann wäre er sofort geliefert gewesen. »Eigentlich hätte ich es
tun sollen. Dein Sohn war ein widerlicher Sadist. Aber gerichtet hat ihn jemand
anders, wie ich bereits sagte.«
Er wusste, dass er damit sein
eigenes Todesurteil unterzeichnet hatte. Es stand in Vittorios höhnischem Gesichtsausdruck
und in den entsetzten Blicken der anderen Clanchefs zu lesen. Ein Leveller,
der sich zum Richter über Clanmitglieder aufschwang, verletzte in unerhörter
Weise ihre Autorität.
»Ich stelle den folgenden Antrag
an die große Runde: Torn Gaser, bisher Masterleveller, wird suspendiert, und
ihm werden all seine Privilegien genommen. Wird er getötet, ist dies kein
Verstoß gegen die Statuten dieser Runde. Ich bitte um eure Zustimmung.«
Torn hörte zwar die Worte des
Clanchefs, erfasste aber ihren Sinn nicht mehr. Langsam sank er auf seinen
Stuhl zurück. Während die anderen Clanchefs einer nach dem anderen die Hand
hoben, erschien vor seinem inneren Auge das gerötete Gesicht von Yvette.
Mein Kind ist
tot.
Die Welt vor ihm verschwamm
hinter einem Schleier.
Saïnas Herz pochte
immer noch heftig vor Aufregung, während sie durch
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