Asylon
Rechten über die Wand
links neben der Tür, wo er sich befinden musste.
Doch sie fand ihn nicht. Stand
sie denn wirklich neben der Tür? Vielleicht hatte sie sich ja ungewollt von Tür
und Schalter entfernt.
Eine albtraumhafte Vision
überfiel sie, in der sie, unablässig nach dem Lichtschalter suchend, durch die
Reihen aufgebahrter Leichen stolperte, nicht fähig, den Raum zu verlassen, bis
ihr die Sinne schwanden.
Sie tastete weiter – und bekam
plötzlich etwas zwischen die Finger.
Es war nicht der Lichtschalter!
Und es fühlte sich warm und lebendig an!
Eine menschliche Hand!
»Hallo. Ich bin Edward.«
In Saïnas Kehle staute sich der
Atem zu einem Schrei des Entsetzens, doch noch bevor ein Ton über ihre Lippen
kam, schlossen sich zwei Hände mit der Gewalt einer Schraubzwinge um ihren
Hals, pressten sie mit dem Rücken gegen die Wand und drückten unbarmherzig zu.
»Wehr dich nicht«, sagte eine
Männerstimme ganz nah an ihrem Ohr. »Dann ist das Sterben für dich leichter.
Ich drücke dir die Schlagadern zu, das unterbricht den Blutkreislauf zum Hirn.
Bevor du erstickst, fällst du in Ohnmacht. Spürst du es schon?«
Er sprach die Wahrheit. Saïna
bemerkte, wie ihr die Arme, die mit den seinen rangen, bereits schwer wurden.
Kleine weiße Blitze tanzten vor ihren Augen, während sie verzweifelt darum
kämpfte, bei Bewusstsein zu bleiben. Ihre Kehle schmerzte unter dem brutalen
Druck der Hände ihres Angreifers. Sie spürte, wie sie an der Wand ein wenig
nach oben gehoben wurde und sie den Boden unter den Füßen verlor.
»Schschsch! So ist es gut, mein
Kind. Das machst du sehr gut.«
Seine Stimme hörte sich
freundlich an, fast warmherzig. Ein Teil von ihr wollte auf ihn hören, sich
einfach der gnädigen Ohnmacht hingeben. Ihre Bewegungen wurden immer fahriger
und träger.
»Gleich hast du es geschafft.«
Sie spürte seinen heißen Atem auf
ihrer Haut, hörte das leichte Zittern seiner Stimme.
Das Schwein
ist erregt. Er geilt sich daran auf.
Schlagartig ergriff sie maßloser
Zorn. Irgendwie gelang es ihr, die beginnende Lähmung abzuschütteln und die
letzten Funken ihrer Energie einzusetzen. Mit einem Ruck zog sie das Knie hoch.
Er schrie vor Schmerz schrill
auf, und der Griff um ihren Hals lockerte sich. Saïna wusste, dass dieser winzige
Hauch einer Chance nur einen Sekundenbruchteil währen würde. Sie schob die noch
immer bleischweren Arme zwischen die ihres Angreifers und riss sie mit einer
ruckartigen Bewegung, die sie das letzte bisschen Kraft kostete, auseinander.
Auf diese Weise sprengte sie den Würgegriff und fiel zu Boden wie ein nasser
Sack.
»Schlampe!«, brüllte er mit dem
wilden Zorn eines Raubtiers, dem die Beute im letzten Moment entkommen war.
Im Dunkeln spürte sie, wie seine
Hände über ihr blind durch die Luft fuhren, knapp über ihrem Haar vorbei. Sie
holte mit dem Fuß aus und traf. Ein erneuter Schmerzensschrei bewies ihr, dass
sie sein Knie oder Schienbein erwischt hatte. Ihr Verstand, der allmählich
wieder die Oberhand über ihren Instinkt gewann, arbeitete fieberhaft. Mit ihm
kam die Angst zurück. Auf allen vieren kroch sie seitlich an der Wand entlang,
von stampfenden Schritten und Flüchen verfolgt. Als sie glaubte, etwas Abstand
zwischen sich und ihren Verfolger gebracht zu haben, sprang sie auf und
stolperte in den Raum, wobei sie die Bahren, gegen die sie immer wieder
schmerzhaft prallte, in alle Richtungen stieß. Bald schien der ganze Raum in
wilder Bewegung zu sein.
Urplötzlich überkam sie die
Erkenntnis, dass sie jede Orientierung verloren hatte, und sie blieb stehen, prustend,
die Hüften von Dutzenden Zusammenstößen lädiert.
»Ich wollte es dir einfach
machen!«
Sie fuhr herum in die Richtung,
in der die Stimme erklungen war. Er mochte vielleicht fünf Meter von ihr
entfernt sein.
»Aber ihr wollt es immer auf die
harte Tour.«
Schweigen.
Stille.
Links von ihr rasselten zwei
Bahren gegeneinander. Panisch sprang sie in die Gegenrichtung, nicht ohne
selbst erneut schmerzhaft gegen eine stählerne Kante zu prallen.
Wieder Stille.
Ein Luftzug in ihrem Nacken.
Eine Berührung.
Sie schrie laut auf, griff
instinktiv hinter sich, ergriff Finger, eine Hand, kalt wie der Tod. Die Hand
rutschte an ihr herab. Etwas plumpste schwer zu Boden.
Eine Leiche!
Seitlich von ihr schrilles
Gelächter, das sich schnell entfernte.
Er quälte sie, spielte mit ihr
wie die Katze mit der Maus.
Wie findet er
mich? Kann er im Dunkeln sehen? Ich bin zu laut.
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