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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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großes Pflaster
auf ihrer Stirn, wahrscheinlich aus seiner Hausapotheke. Bei näherer
Betrachtung konnte er nicht mehr verstehen, wie er die Frau ihm gegenüber für
Yvette hatte halten können. Außer einem ähnlichen Körperbau und einer augenscheinlichen
Vorliebe für pflegeleichte Kurzhaarfrisuren konnte er keine Übereinstimmungen
entdecken. Yvettes Haut war weiß gewesen, ihr Gesicht schmal und ausgezehrt.
Das der Frau vor ihm war rund, mit den hohen Wangenknochen der Orientalin.
Bernsteinfarbene Augen statt Blau. Breite schwarze Brauen, die gerade über den
Augen lagen wie dunkle Balken, statt Yvettes zarter Bögen. Kaum zu glauben,
dass ihn ihr Anblick so aus der Fassung gebracht hatte.
    Seine Augen fanden die
Ginflasche, die nun an ihrer Seite stand und sichtbar an Inhalt verloren hatte.
Ihr Blick folgte dem seinen. »Ich dachte, das hätte ich mir irgendwie
verdient«, sagte sie mit rauer Stimme.
    Sie nahm die Flasche und reichte
sie ihm, doch ihm war nicht mehr nach Trinken zumute, deshalb schüttelte er
ablehnend den Kopf. Verblüfft sah er dann, wie sie die Flasche ohne weitere
Umschweife ansetzte und sich die verbliebene Hälfte mit einer Mischung aus sichtlichem
Missbehagen und Todesverachtung durch die Kehle fließen ließ. Dann starrte sie
eine Weile düster in die Nacht.
    »Hatte ’n echten Scheißtag«,
murmelte sie schließlich, und ihre Zunge war bereits hörbar schwerer geworden.
Irgendetwas an ihrer Äußerung schien ihr selbst ein seltsames Vergnügen zu
bereiten. Ein paar halb unterdrückte Gluckser gingen in ein überdrehtes
Gelächter über, das schließlich in einer Mischung aus Husten und Schluckauf
erstarb.
    Torn wartete, bis sie sich wieder
beruhigt hatte. »Das mit dem Scheißtag kommt mir irgendwie bekannt vor«, entgegnete
er dann.
    Er wollte sich aufrichten, doch
ein schlagartig einsetzender Kopfschmerz zwang ihn wieder herunter. Stöhnend
fiel er auf die Dachpappe zurück, die Fingerspitzen auf die pochenden Schläfen
gepresst.
    »Ich glaub, du has’ dir ganz
schön ’n Schädel angeschlagen«, sagte sie leicht lallend, während sie mit unbeholfenen
Bewegungen ein Feuerzeug und ein Päckchen Zigaretten aus dem Overall kramte.
Sie fingerte eines der Stäbchen heraus, steckte es sich zwischen die Lippen und
zündete es an.
    Torn betastete seinen Kopf und
fand schließlich eine dicke, schmerzhafte Beule.
    »Gott sei Dank bissu gar nich’
ers’ richtig in ’n Schacht gefallen, sondern mit deiner verdammden Hose an m
First hängen geblieben. Alleine hätt’ ich dich auch kaum halten könn’n, selbs’
wenn ich rechtzeitig gekomm’ wär«, sagte sie zwischen zwei Zügen. »War schon
schwer genug, die eine Hälfde von dir über’n Firss zurück aufs Dach zu wälzen.
Biss ja ech’ kein Leichtgewicht.«
    Ihre Augen musterten ihn,
abwartend, fast misstrauisch, ein bisschen wie ein Raubtier, das auf der Jagd
nach Beute unvermittelt einem Artgenossen begegnet war. Dabei schwankte sie
fast unmerklich hin und her. Schließlich wandte sie den Blick ab.
    »Du muss mir nich’ dafür dank’n«,
sagte sie merklich beleidigt.
    »Hab ich auch nicht vor«,
entgegnete Torn ärgerlich und verfluchte sich sogleich. Seine eigene Stimme
wollte seinen Schädel zum Platzen bringen, und er krümmte sich unter einem
erneuten Kopfschmerzanfall. Sein Blut pochte und pumpte durch viel zu enge
Gefäße, wie eine Armee beim Versuch eines Frontdurchbruchs.
    Auf einmal spürte er etwas Kühles
auf der Stirn. Der Schmerz ebbte ein wenig ab.
    »Ist eins von deinen
Handtüchern«, sagte die Frau, die ihm das Tuch gegen die Stirn presste. »Hab’s
nass gemacht. War eigentlich für mich. Sollte dir ’n bisschen helf’n.«
    Es half sogar entschieden. Torn
widmete dem Gott der Anästhesie ein kurzes Dankesgebet.
    »Auch wenn du’s nich’ wirklich
verdient has’.«
    Ihre Stimme war viel näher. Er
wagte nicht, die Augen zu öffnen, und fragte sich warum.
    »Ich wussde nich’, ob du irgendwo
’n Schmerzmiddel has’«, fügte sie halb fragend hinzu.
    Torn schüttelte vorsichtig den
Kopf. Seine spärlichen Vorräte waren während Yvettes Schwangerschaft dahingeschmolzen,
und Schmerzmittel waren in dieser Stadt so knapp, dass sie mancherorts als
harte Währung dienten.
    »Tja, dann muss’ du da wohl
durch«, sagte sie; der Alkohol machte ihre Zunge immer schwerer.
    Nun öffnete er die Augen doch ein
klein wenig.
    Ihr Gesicht war direkt über ihm,
wie ein dunkler Mond vor dem Sternenhimmel. Ihre Haut

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