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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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näherte, wurde sein vager Argwohn zum schrecklichen
Verdacht.
    Als er Scooters Wohncontainer
endlich erreichte, war das Feuer zum größten Teil schon verloschen. Nichts als
verkohltes Metall war von Scooters Behausung geblieben, grotesk verbogene
Wände, die in der Hitze noch immer knackten. Aus dem Inneren war leises
Prasseln zu hören.
    Torn stieg ab und taumelte auf
das zu, was einmal eine grob zusammengezimmerte Veranda gewesen war. Nun war da
nur noch eine ausgebrannte Aussparung im Viereck des Containers. Er blieb
stehen, denn sein Blick war auf einen viereckigen Gegenstand gefallen, der auf
dem Asphalt lag. Er griff danach. Ein kleines Buch. »Adressen« stand in
Goldprägung darauf. Er blätterte die erste Seite auf. »Eigentum von Scooter
Darcy«, las er. Er hatte Scooters Adressbuch gefunden.
    Er ließ das Buch in seiner
Beintasche verschwinden. Anderes war wichtiger.
    Torn stiefelte durch die
rauchenden Überreste der Veranda. Beklommen stand er schließlich vor dem
Eingang. Sicher ließ ein Wohnungsbrand kein aufgeräumtes Zimmer erwarten, aber
die Verwüstung, die er zu sehen bekam, übertraf Torns pessimistischste
Erwartungen. Ein Teil des Daches war in den Raum gestürzt und hatte sich in der
Hitze um Möbel und anderes herumgebogen. Überall brannten oder glühten
kleinere Gegenstände. Vorsichtig bahnte sich Torn einen Weg durch das
schwelende Gerümpel.
    Der hintere Teil des Containers,
der in sein Blickfeld kam, war erstaunlich unversehrt. Neugierig arbeitete sich
Torn darauf zu, um die Ursache zu erforschen. Dafür musste er über den
herabgebrochenen Teil des Daches treten, der unter der Last seiner Tritte
ächzte und bebte. Durch seine Schuhsohlen spürte er die Resthitze des gequälten
Metalls.
    Ein verkohlter Gegenstand, der
unter dem Rand des eingestürzten Daches hervorragte, erregte Torns Aufmerksamkeit.
Er trat näher und nahm das Ding in Augenschein.
    Finger. Eine Hand.
    »O mein Gott!«, entfuhr es ihm.
    Fieberhaft schaute er sich nach
irgendetwas um, das ihm helfen konnte, das heiße Dach so weit anzuheben, dass
er den Rest des Körpers betrachten konnte. Eine auf wundersame Weise weitgehend
unversehrt gebliebene Decke erlaubte ihm schließlich, sein Vorhaben in die Tat
umzusetzen, und er besah sich die verkohlten menschlichen Überreste.
    Scooter.
    Zwar waren Gesicht und
Körperoberfläche der Leiche durch den Brand bis zur Unkenntlichkeit verkohlt,
aber unzweifelhaft war es ein Mann gewesen, groß und kräftig. Der Schock sog
die Kraft aus Torns Körper, und er sank auf die Knie. Tränen liefen ihm übers
Gesicht. Erst Yvette und nun Scooter. Es war mehr, als er ertragen konnte.
    Wie lange er so dasaß, neben den
verkohlten Überresten des wahrscheinlich einzigen echten Freundes, den er jemals
gehabt hatte, wusste er später nicht. Endlich stand er auf und warf einen
letzten Blick auf den vom Feuer entstellten Leichnam.
    »Ich weiß, wer dir das angetan
hat, und er wird dafür bezahlen, das verspreche ich dir«, flüsterte er mit zusammengebissenen
Zähnen.
    Dann stand er auf und stieg
wieder auf die Reste des Daches. Sein Blick fiel wieder auf die Decke, die er
zum Anheben benutzt hatte, und mit einem Mal kam ihm die Rückwand des
Containers wieder in den Sinn. Ein Teil davon war unversehrt, geformt wie ein
kopfüber stehendes V. Nicht mal die Farbe war abgeplatzt. In der Mitte befand
sich ein Rohr an der Wand, aus dem immer noch das Wasser plätscherte. Das war
des Rätsels Lösung: Die Wasserleitung war geplatzt; das hatte verhindert, dass
die Decke verbrannte.
    Ohne noch einen weiteren Gedanken
daran zu verschwenden, verließ Torn den Container.
    Draußen berührte die Sonne
bereits den Horizont. Die Hitze begann sich zu mildern. Eine leichte Brise
strich über Torns Gesicht. Sein Denken wurde von einem Namen beherrscht …
    Rygor.
    Wie kriege ich
dich? Scooters Tod wird niemanden kümmern. Aber
sechsundfünfzig vertuschte Morde sollten selbst deiner Karriere schaden. Doch
dazu muss ich sie erst beweisen. Ich muss rausfinden, wie du die Leute angelockt
hast und wie du von dieser Schweinerei profitierst.
    Wie von selbst fand seine Hand
den Weg zur Beintasche und dort zu Scooters Adressbuch. Er zog es hervor und
schlug es auf.
    Er fand sie schon unter A.
    Saïna Amri,
Turkania, Cumhuriyet Caddesi, Apartment 6b

    Saïna schob den
Universalschlüssel ins Schloss der Tür und drehte ihn um. Es kam immer wieder
mal vor, dass jemand vom Krankenhauspersonal seine Schlüssel verlegte

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