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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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tiefschwarzen
Augen richtete sich auf Torn. »Vielen Dank, dass du meiner Einladung gefolgt
bist«, sagte er. Es lag keine Spur von Spott oder Boshaftigkeit in seiner
Stimme.
    »Nun, die Art der Einladung legte
eine gewisse Dringlichkeit nahe«, antwortete Torn.
    Sputano nickte höflich, wiederum
ohne jede Spur von Zynismus. Dann wandte er sich dem Bild zu und gab etwas mehr
Dunkelgrau in seine Wolke. Er schien es nicht besonders eilig zu haben, sich
mit seinem Gast zu befassen.
    Torn wurde ungeduldig. Wenn er
schon zum Tode verurteilt war, wollte er nicht die Zeit davor mit nervenaufreibendem
Warten verbringen.
    »Hübsch«, sagte er, um die
Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken.
    »Hübsch?« Sputano wandte sich ihm
erneut zu und musterte ihn mit mildem Tadel in den Augen. »Das ist die Burg
Bentheim, gemalt von Jakob van Ruisdael, dem wohl bedeutendsten niederländischen
Landschaftsmaler des Barock. Das«, die Hand mit dem Pinsel beschrieb einen weiten
Kreis vor dem Bild, »ist ein Meisterwerk.«
    Torn zuckte mit den Schultern.
»Ich verstehe nicht viel von diesen alten Schinken.«
    »Welch ein Jammer«, bemerkte
Sputano voll ehrlicher Betroffenheit. »Mich erinnern sie an all die Dinge, die
ich verloren habe. Oder sollte ich sagen: die wir alle verloren haben?«
    »Du meinst durch den Surge?«
    »Den Surge?« Milde lächelnd
schüttelte er den Kopf. »Ich hätte dich für gescheiter gehalten.«
    »Wie meinst du das? Sag jetzt
nicht, du bist auch einer von diesen Draußen-ist-eine-bessere-Welt-Freaks.«
    Sputano zuckte mit den Achseln,
legte Palette und Pinsel gemächlich auf einem kleinen Klappstuhl ab und baute
sich vor Torn auf. »Lass mich dir eine Frage stellen.«
    »Nur zu«, sagte Torn.
    »Wann fand der Surge statt? Ich
meine, wie lange ist das her?«
    »Keine Ahnung.« Torn überlegte.
»Muss ungefähr vor fünf Jahren gewesen sein. Das war die Zeit, zu der ich in
die Stadt gekommen bin.«
    »Interessant.« Sputano kratzte
sich am Kinn. »Weißt du, ich habe diese Frage schon vielen Leuten in dieser
Stadt gestellt. Und jeder, aber auch wirklich jeder gab darauf eine andere
Antwort. Mal ist es ein Jahr, mal sind es zehn.«
    »Na und?« Torn schüttelte
unwillig den Kopf. »Wenn die Welt untergeht, zählt eben niemand mehr die Jahre.
Die Leute sind durch die Hölle gegangen, um hierherzukommen. Ist doch kein
Wunder, dass alle ein bisschen durcheinander sind.«
    »Ha!« Sputano hob einen Finger.
»Und da haben wir schon das nächste Rätsel. Wir sind angeblich hinter einer
unüberwindlichen Grenze. Wie aber kann es dann sein, dass immer wieder Leute
auftauchen, die behaupten, sie wären eben erst eingetroffen?«
    Sputano lächelte triumphierend.
Torn merkte, wie sich in seinem Bauch eine dunkle Wolke zusammenbraute.
    »Moment mal! Du hast mich
überfallen, entführen und mich an diesen bekackten Stuhl fesseln lassen, um mit
mir ein esoterisches Quiz zu veranstalten?«, protestierte er.
    »Oh.« Sputano runzelte die Stirn.
»Nein. Natürlich nicht. Du bist hier, damit ich dich töten kann.«
    Das war kaum eine Überraschung,
aber die schlichte Beiläufigkeit, mit der Sputano das sagte, jagte ihm einen
eiskalten Schauer über den Rücken. Er sah, wie Sputano eine dünne Nylonschlinge
aus einer der Taschen seines Malerkittels zog. Am den Enden befanden sich zwei
einfache Holzgriffe. Torn schluckte die Panik hinunter, die bei diesem Anblick
in ihm aufsteigen wollte.
    »Wenn du denkst, dass ich jetzt
um mein Leben bettele, liegst du falsch«, sagte er trotzig.
    »Ich bedaure, sagen zu müssen,
dass das meinen Entschluss auch nicht ändern würde«, erwiderte Sputano
gleichmütig, während er die Nylonschnur zwischen den Griffen ein paarmal
kräftig spannte. Torn, der sich keinesfalls so einfach aufgeben wollte,
überlegte fieberhaft, wie er den Mann zu einer Unvorsichtigkeit provozieren
konnte.
    »Nur, dass du es weißt: Deine
Söhne waren widerliche Sadisten, die den Tod verdient hatten«, sagte er mit all
der Verächtlichkeit, zu der er fähig war.
    Doch zu seiner grenzenlosen Verwunderung
verfiel Sputano nicht in den erhofften Wutausbruch, sondern nickte bedächtig.
»Da hast du zweifelsohne recht. Und nicht nur das: Diese drei undankbaren
Dreckskerle trachteten mir nach dem Leben. Offenbar hatten sie keine Lust mehr,
länger auf ihr Erbe zu warten.«
    »Aber wenn du mich nicht aus
Rache tötest …«, stammelte Torn überrascht.
    »Warum dann überhaupt?«,
vervollständigte Sputano seine Frage. »Tja, so

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