Aszendent Blödmann
gründen. Was ich natürlich verstehen kann. Allerdings habe ich das alles schon hinter mir.« Conrad streichelte wie mechanisch meine Hand. »Man kann es drehen und wenden, wie man will: Im Vergleich zu dir bin ich ein alter Sack.«
Auch wenn das ein Scherz hatte sein sollen – ich konnte nicht darüber lachen. Ich legte die Gabel zur Seite, irgendwie war mir mit einem Mal der Appetit vergangen. »Charlie Chaplin ist noch mit über siebzig Vater geworden«, wandte ich ein.
»Mag sein, aber das ist nicht das, was ich mir für meine Zukunft erträume. Ich kann keine Windeln wechseln. Und ich will es auch nicht mehr lernen. Aus dem Alter bin ich raus. Ich möchte das Leben noch einmal richtig genießen. Nächstes Jahr werde ich fünfzig, ich hab in meinem Leben schon viel zu viel gearbeitet, meine Ehe ist daran kaputtgegangen, meine Entscheidung steht fest: Ich werde das Hotel in Ilkas Hände legen.«
Uff, diese Nachricht musste ich erst einmal verdauen. Mir war klar gewesen, dass Conrad sich peu à peu aus dem Tagesgeschäft zurückziehen würde, deshalb hatte er ja auch bereits einige Bereiche, wie etwa die Personalleitung, an seine Tochter übergeben. Aber dass er komplett aufhören wollte … Conrad war gleichzeitig die Seele und das Herz des Wallemrath Hotels. Ohne ihn war das Hotel ein alter, lebloser Kasten. Ein Haufen Steine mit ein paar Möbeln, nichts weiter. Jetzt wurde mir auch klar, was Conrad damit gemeint hatte, dass Ilka und ich in Zukunft enger zusammenarbeiten würden. Allein beim Gedanken daran bekam ich schon Gänsehaut. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, was es für uns Mitarbeiter bedeuten würde, wenn die Fürstin der Finsternis das Zepter übernahm. Ob Conrad sich das auch reiflich überlegt hatte? In den vergangenen Jahren war das Hotel sein Leben gewesen.
»Und? Wie wirst du dann in Zukunft deine Zeit totschlagen?«, fragte ich vorsichtig, ohne genau zu wissen, ob ich die Antwort überhaupt hören wollte. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass Conrads Entscheidung, die Hotelleitung an den Nagel zu hängen, noch weitaus gravierendere Konsequenzen nach sich zog. »Wirst du Briefmarken sammeln? Golf spielen? Dir irgendwelche Wehwehchen ausdenken und von einem Arzt zum anderen laufen?«
»Keine schlechte Idee«, flachste Conrad. »Aber ich habe bereits andere Pläne: Ich will um die Welt segeln.« Seine graublauen Augen begannen zu funkeln wie Eiskristalle in der Sonne. »Ich habe vor, ferne Länder zu bereisen, eine Safari durch Afrika zu machen, wer weiß, vielleicht werde ich sogar mit der Harley die Route 66 entlangfahren, wie Ilka es mir geraten hat. Auf jeden Fall möchte ich auf meine alten Tage das Leben noch einmal so richtig genießen. Ich habe schon immer davon geträumt, mit Susanne die Welt zu umsegeln – jetzt könnte dieser Traum endlich wahr werden.«
»Mit Susanne?!« Ich hörte doch wohl nicht richtig! Unwillkürlich schnappte ich nach Luft. »Ich dachte, mit dem Thema wärst du durch?!«
»Niemals. Mein altes Mädchen und ich, wir gehören zusammen.«
Endlich begriff ich, dass Conrad nicht von seiner Ehefrau, sondern von seinem Segelboot gesprochen hatte. Zu Beginn unserer Beziehung war mir der Name des Schiffes sauer aufgestoßen. Es hatte eine Weile gedauert, bis es Conrad gelungen war, mir verständlich zu machen, dass man ein Schiff nicht so mir nichts, dir nichts umtaufte, nur weil man sich von seiner Namenspatronin getrennt hatte. Aber egal, welche Susanne Conrad sich als Begleiterin auserkoren hatte – Fakt war, dass er die Welt wohl kaum mit dem Finger auf der Landkarte erkunden wollte. Außerdem nahm ich nicht an, dass Conrad mich als Crewmitglied bei seiner Weltumsegelung eingeplant hatte.
»Und was … was wird dann aus uns?«, fragte ich gepresst. Mir war, als hätte ich soeben einen Schlag in die Magengegend verpasst bekommen.
»Wenn ich ehrlich sein soll: keine Ahnung.« Wenigstens war er aufrichtig. »Vielleicht wäre es das Beste, wenn wir uns außerhalb des Hotels eine Weile nicht mehr sehen würden, um uns darüber klar zu werden, was wir eigentlich wollen. Glaub bitte nicht, dass mir das leichtfällt. Die Zeit mit dir war wunderschön, ich möchte die letzten zwei Jahre um nichts auf der Welt missen.«
Die letzten zwei Jahre … Hatte ich’s doch gewusst, dass Conrad mich an unserem Jahrestag überraschen wollte. Wie sehr, hatte ich natürlich nicht ahnen können … Auch wenn es aus Conrads Mund eher wie eine Trennung auf Probe als nach
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