Aszendent Blödmann
Kai ja bereits beim Meeting am Tag zuvor kennengelernt hatte, gab ihm einen kurzen Einblick in unser Buchungssystem. Obwohl sie sonst die Herzlichkeit in Person war, verhielt sie sich Kai gegenüber auffallend reserviert. Das war ihre Art, mir ihre Solidarität zu zeigen. Und ich liebte sie dafür!
In der Hotelküche wurde der neue Kollege hingegen gleich mit offenen Armen empfangen. Elende Verräter! Sogar Babett, unsere ansonsten eher etwas muffelige Küchenhilfe, die genau wie die alten Messingpfannen an der Wand seit eh und je zum Inventar gehörte, ließ sich von Kai wie ein Kaugummi um den Finger wickeln. Ein breites Lächeln hier, ein paar Komplimente da – schon fraß sie ihm aus der Hand. Obwohl es streng genommen eigentlich andersherum war.
»Oh, das sieht aber köstlich aus«, schleimte Kai.
Babett ließ sich nicht lange bitten, tauchte einen Löffel in die rosafarbene Creme, die sie gerade zubereitet hatte, und hielt ihn Kai zum Kosten unter die Nase.
Das Dessert schien Kai zu munden. Genießerisch verdrehte er die Augen. »Wunderbar!«
Babett lächelte zufrieden. »Sie sind wohl ein ganz Süßer, was?«
Nun war es an mir, die Augen zu verdrehen. Meine Güte, Hundewelpen oder Schokolade waren süß, aber doch nicht Kai Hoffmann!
Nachdem ich Kai einige Zimmer und Suiten gezeigt hatte, stellte ich ihm auf dem Weg zum Fitnesscenter endlich die Frage, die mir schon die ganze Zeit unter den Nägeln gebrannt hatte: »Hat Ilka Ihnen bei Ihrem Vorstellungsgespräch denn nicht das Hotel gezeigt?« Es interessierte mich ungemein, wie sie es geschafft hatte, ein Zusammentreffen von Kai und mir zu verhindern. Ein Vorstellungsgespräch um Mitternacht? Ein konspiratives Treffen am Wochenende?
»Es hat kein Vorstellungsgespräch gegeben«, antwortete Kai schlicht. »Allerdings habe ich vor geraumer Zeit schon mal ein paar Tage im Wallemrath Hotel in Hamburg verbracht, insofern hatte ich eine grobe Vorstellung von dem, was mich hier erwarten würde. Außerdem hat Ilka mir einige Fotos gezeigt«, gab er bereitwillig Auskunft. Und fügte, ohne dass ich danach gefragt hatte, noch hinzu: »Ilka und ich haben uns bei einem Workshop in den USA kennengelernt. Ich habe dort in der Marketingabteilung eines großen amerikanischen Automobilkonzerns gearbeitet.«
Mir sträubten sich die Nackenhaare. Wenn das mal nicht nach Schiebung roch!
»Nachdem Ilka nach Deutschland zurückgekehrt ist, sind wir locker in Kontakt geblieben. Als ich ihr vor ein paar Wochen gemailt habe, dass ich in Kürze meine Zelte in New York abbrechen werde, hat Ilka mir dieses Jobangebot gemacht. Ein Glücksfall. Denn zum einen gibt es hier in der Umgebung nicht viele Unternehmen, die Marketingleute suchen, zum anderen hat mich die Hotelbranche schon immer gereizt.«
»Was Sie nicht sagen.« Eigentlich konnte ich Kai noch nicht einmal übel nehmen, dass er Ilkas Jobangebot angenommen hatte. Jedes Kind weiß schließlich, wie wichtig Vitamine sind. Vitamin C für das Immunsystem, Vitamin A für die Augen – und Vitamin B für die Karriere. Kai tat, als wäre diese Art der Vetternwirtschaft das Normalste von der Welt. Gerade brabbelte er irgendwas davon, wie wichtig Netzwerke in der heutigen Geschäftswelt seien. Da ich dieses blöde Business-Gesülze nicht ertragen konnte, ließ ich ihn einfach quatschen und schaltete auf Durchzug.
Nachdem wir das Schwimmbad und das Fitnesscenter besichtigt hatten, zeigte ich Kai auch noch das Außengelände, wo sich die Tennisplätze und eine kleine Driving Range für Golfspieler befanden. Obwohl ich weiß Gott Besseres zu tun gehabt hätte, als stundenlang durch die Gegend zu spazieren, ließ ich bei meiner Führung, abgesehen von der Männerdusche und der Herrenumkleide, keinen Quadratmeter des Hotels aus. Nicht einmal die Besenkammer oder den Geräteschuppen. Der gnädige Herr bestand darauf, dass ich ihm das Hotel zeigte? Voilà! Ich wollte mir von niemandem – und schon gar nicht von Kai – nachsagen lassen, dass ich meine Aufgaben nicht ordentlich und gewissenhaft erledigte.
»Und was ist das da hinten für ein Gebäude?«, fragte Kai, als wir uns bereits auf dem Rückweg zum Haupttrakt des Hotels befanden.
»Das sind die alten Stallungen. Im Augenblick stehen sie leer. Aber hoffentlich nicht mehr lange. Ich habe der Geschäftsleitung vorgeschlagen, dort ein Kinderparadies unterzubringen.« Wie immer, wenn ich über dieses Projekt sprach, musste ich mich beherrschen, nicht allzu sehr ins Schwärmen zu
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