Aszendent Blödmann
’nen Nerv eingeklemmt.«
Oh nein, auch das noch. Das Herz rutschte mir in die Hose, als ich Conrad mit schmerzverzerrtem Gesicht und gekrümmtem Rücken halb über dem Treppengeländer hängen sah. Warum ging im Moment bloß alles schief?!
»Ich bring nur schnell Ben rein«, rief ich Conrad zu. »Rühr dich nicht von der Stelle.«
»Ha, ha. Können vor Lachen.«
Nachdem ich Ben in die Wohnung verfrachtet hatte, hievte ich unter Aufbietung all meiner Kräfte Conrad und den Kinderwagen die letzten Treppenstufen hinauf. Zum Glück stellte sich schnell heraus, dass Conrads Verletzung halb so wild war. Wahrscheinlich hatte er sich nur ein bisschen verhoben. Nach ein paar Dehn- und Lockerungsübungen konnte er sich wieder halbwegs normal bewegen und war somit voll einsatzfähig. Unter dem Vorwand, rasch noch eine Waschmaschine anstellen zu müssen, drückte ich Conrad das Baby in die Arme. Allein der Geruch dieses kleinen Wesens machte süchtig. Höchste Zeit, dass die beiden ein bisschen miteinander auf Tuchfühlung gingen.
Leider sah Ben das – Männerfreundschaft hin oder her – wohl ein wenig anders. Er protestierte bei der Übergabe lautstark.
»Sing ihm am besten ein Schlaflied vor«, riet ich Conrad. »Dann beruhigt er sich wieder. La Le Lu mag er besonders gerne.«
» La Le Lu? « Conrad sah mich an, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte.
»La Le Lu, nur der Mann im Mond schaut zuuu, wenn die kleinen Babys schlafen, drum schlaf auch duuuu«, begann ich die erste Strophe zu singen und wartete darauf, dass Conrad einstimmte. Doch der schüttelte bockig den Kopf: »Das Lied kenne ich nicht.«
»Dann sing ihm halt irgendetwas anderes vor«, erwiderte ich ungeduldig, denn Bens Protestgeschrei steigerte sich gerade von forte zu fortissimo.
Conrad legte nachdenklich die Stirn in Falten, dann räusperte er sich und schmetterte schließlich los: »Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, ob du ’n Mädel hast oder auch keins …«
Nicht gerade ein klassisches Schlaflied, aber zumindest gab er sich Mühe. Ich wusste das zu schätzen. Ganz im Gegensatz zu Ben. Als ich zurückkam, weinte er immer noch. Schriller und lauter denn je. Mittlerweile rannte Conrad, dessen Kopf mindestens ebenso rot angelaufen war wie Bens, mit dem schreienden Bündel auf dem Arm durch das Wohnzimmer. Hilflos hielt er mir das brüllende Kind entgegen.
»Siehst du, er mag meinen Gesang nicht.«
Ich rümpfte die Nase. Womit ich jedoch keineswegs Conrads Gesangstalent abwerten wollte. »Ben schreit nicht, weil er dein Schlaflied nicht mag, sondern weil er die Hosen voll hat.«
Männer!
Ich leistete Hilfe zur Selbsthilfe und drapierte ein Handtuch nebst frischer Windel und Feuchttüchern auf dem Sofa. So, Jungs, dann macht mal! Ich überließ die Männer wieder sich selbst. Der Abschmierdienst sollte wohl kein allzu großes Problem darstellen. Denn im Gegensatz zu mir, einer blutigen Anfängerin in Sachen Säuglingspflege, gehörte Conrad als Vater ja bereits zu den Fortgeschrittenen. Höchste Zeit, sein Können wieder ein kleines bisschen aufzufrischen und unter Beweis zu stellen.
Als ich zurückkehrte, schnupperte ich vorsichtig. Der Geruch war verschwunden. Na bitte, ging doch!
»Man muss sich nur zu helfen wissen«, erklärte Conrad stolz.
»Super«, lobte ich ihn. »War doch gar nicht so schwer, die kleine Stinkbombe zu entschärfen, oder?«
»Stimmt, du hast recht.« Er machte eine Kopfbewegung in Richtung des weit aufgerissenen Fensterflügels. »Ich hab das Fenster aufgemacht.«
»Sag bloß, Ben hat immer noch die volle Windel an. Hast du ihm denn nicht den Popo sauber gemacht?!«
Conrad musterte mich so ungläubig, als hätte ich von ihm erwartet, eine Operation am offenen Herzen durchzuführen. »Woher soll ich wissen, wie das geht?!«
»Du hast doch eine Tochter.«
»Also, entschuldige mal bitte, das ist ja wohl etliche Jahre her, dass Ilka in die Windeln gemacht hat.«
Mir stellten sich die Nackenhaare hoch. »Aber so was verlernt man doch nicht!«
»Schon möglich. Das musst du meine Frau fragen. Die ist bei uns früher fürs Wickeln zuständig gewesen.«
Kommentarlos nahm ich Conrad den kleinen Hosenscheißer ab und begann, ihn aus seinen Klamotten zu pellen. Es stank mir gewaltig – und zwar gleich in doppelter Hinsicht. Ob es mir nun gefiel oder nicht: Charlotte hatte mit ihren Unkenrufen recht behalten. Das Experiment war im wahrsten Sinne des Wortes in die Hose gegangen …
Kapitel 10
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