Aszendent Blödmann
ich am nächsten Morgen, punkt halb neun, den Konferenzraum betrat, verschlug es mir fast den Atem. Schnell hielt ich mir die Nase zu. Im Vergleich zu diesem bestialischen Gestank hatte der Inhalt von Bens Windel beinahe lieblich gerochen! Puh, widerlich. Auf Anhieb konnte ich diesen merkwürdigen Geruch – eine Mischung aus Hustenbonbons, Räucherstäbchen und Desinfektionsmittel – nicht genau identifizieren. Was immer es auch sein mochte – zuerst einmal brauchte ich Sauerstoff! Im Laufschritt durchquerte ich den Konferenzraum, riss ein Fenster auf und sog gierig die frische Luft ein, die von draußen hereinströmte.
»Bloß nicht!«, rief Verena entsetzt. »Mach schnell das Fenster wieder zu!«
Die mütterliche Strenge in ihrer Stimme ließ mich brav gehorchen.
»Wenn er jetzt Zug bekommt, gibt ihm das womöglich den Rest. Und das wollen wir ja schließlich nicht.«
Wenn ich geahnt hätte, wer mit »er« gemeint war, hätte ich die anderen Fenster sowie die Tür auch noch aufgerissen. Denn die Person, um deren Wohlergehen sich Verena so sorgte, war kein Geringerer als mein Lieblingskollege Kai. Während alle anderen im Raum der Hitze Tribut zollten und in sommerlichen Klamotten erschienen waren, tanzte der liebe Kai mal wieder aus der Reihe. Um seinen Hals hatte er sich geschätzte fünf bis zehn Meter Schal geschlungen. Da es sich bei diesem wollenen Ungetüm mitten im Sommer wohl kaum um ein modisches Accessoire handelte, lag die Vermutung nahe, dass er sich eine Erkältung eingefangen hatte. Vielleicht hatte er sich am Wochenende beim Eisessen verkühlt. Wie zum Beweis nieste Kai in diesem Moment kräftig. Na bravo! Das fehlte noch! Dass er außer seinem höchst fragwürdigen Charme hier auch noch seine Bazillen versprühte.
Angewidert zog ich die Nase kraus. »Kann mir mal einer sagen, was das für ein Gestank ist?«
»Japanisches Heilpflanzenöl«, röchelte Kai und zeigte dabei auf eine flache Schale, die vor ihm auf dem Tisch stand. »Hilft fantastisch.«
»Fragt sich bloß, wobei«, murmelte ich ärgerlich.
Wenn man vorhatte, seine Kollegen langsam und qualvoll um die Ecke zu bringen, war dieses Zeug garantiert erste Wahl. Seit meinem missglückten Origami-Kranich stand ich mit den asiatischen Gepflogenheiten ohnehin auf dem Kriegsfuß. Hühnerfleisch süß-sauer, das ich mir ab und zu vom chinesischen Imbiss kommen ließ – abgeheftet unter H wie »Happy Garden« – war die Ausnahme.
Aber japanische Wundertropfen hin oder her: Getreu dem Motto »Vertrau auf Allah, aber binde dein Kamel trotzdem an« türmten sich an Kais Platz Tablettenschachteln in allen Größen, Farben und Variationen. Diverse Fläschchen, Tröpfchen, Tuben und Pülverchen komplettierten das Medikamentenaufgebot. Hatte er eine Apotheke überfallen? Meine Güte, was führte der Kerl im Schilde? Wollte er in unserem Konferenzraum ein Feldlazarett errichten?
Wenn Männer eins konnten, dann war es leiden, und Kai hatte sich offenbar vorgenommen, diese von Gott gegebene Gabe zu perfektionieren. Alle Requisiten, die er dafür benötigte, hatte er griffbereit auf dem Konferenztisch drapiert. Angefangen von einer Tasse Tee über eine Vorratspackung Taschentücher bis hin zu einem Fieberthermometer. Ob er allen Ernstes vorhatte, sich hier, vor versammelter Mannschaft, das Fieberthermometer in den Mund oder unter die Achseln zu schieben? An andere Körperöffnungen wollte ich lieber erst gar nicht denken …
Mein entgeisterter Blick veranlasste Kai dazu, eine Erklärung abzugeben. Offenbar war er der Meinung, dass ich nicht nur blind, sondern auch blöd war. »Ich bin krank«, krächzte er wie ein Rabe.
»Sagen Sie bloß! Wenn Sie es nicht erwähnt hätten, wäre mir das gar nicht aufgefallen«, bemerkte ich ironisch. »Sie Armer. Was fehlt Ihnen denn?«
»Ach, wenn ich das nur wüsste.« Meine Ironie schien an dem Schutzwall aus Medikamenten, den Kai vor sich errichtet hatte, einfach abzuprallen. Vielleicht war er aber auch schon völlig zugedröhnt von all dem Zeug. Kein Wunder, denn dieser Tablettencocktail war garantiert ein derber Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. »Meine Kopfschmerzen bringen mich noch um. Ich kann mich kaum rühren, jede Bewegung tut weh«, jammerte er und legte theatralisch die Hand an seine Stirn. »Aber das ist noch harmlos im Vergleich zu den Schluckbeschwerden. Mein Hals fühlt sich an, als hätte ich mit Heftzwecken gegurgelt. Außerdem habe ich …«
»Danke, das reicht. So genau
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