Aszendent Blödmann
ich, die Geschichte selbst zu glauben. Allerdings war Ilka ein weitaus kritischerer Zuhörer als Maria und Flavio. »Der Ring ist Ihnen bei der Arbeit vom Finger gerutscht, sagen Sie? Genau in den Mülleimer?«
Na bravo! Das klang ja geradeso, als ob meine Arbeit für die Tonne wäre.
»Ja … nein, das heißt, ich weiß es nicht.« Ich versuchte, die kläglichen Überreste meiner Würde und Selbstachtung zusammenzuraffen, was in Anbetracht der Tatsache, dass ich bis zu den Knien im Müll versank, nicht so ganz einfach war. »Im Büro habe ich schon überall nachgeschaut. Aber da ist er nicht. Der Ring gehörte meiner Großmutter, mütterlicherseits. Ich hänge sehr daran, er ist das einzige Erinnerungsstück, das mir von ihr geblieben ist.«
Wie weit konnte man eigentlich noch sinken? Nicht genug, dass ich mich dazu hatte hinreißen lassen, all meine Prinzipien wie Fairness und Ehrlichkeit über Bord zu schmeißen, nun erzählte ich meiner Chefin auch noch irgendwelche Schauermärchen über meine verstorbene Oma – Gott hab sie selig –, die ich zu Lebzeiten nie kennengelernt hatte. Falls aus der Beförderung nichts werden sollte, konnte ich immer noch Straßenverkäufer auf einem türkischen Bazar werden.
Und wem hatte ich diese fantastische berufliche Perspektive zu verdanken? Wer hatte mich zu alldem getrieben? Wer war schuld daran, dass ich nach Feierabend zwischen schimmeligen Butterbrotresten und unappetitlichen Schmuddelheftchen herumwühlte, anstatt gemütlich auf dem Wohnzimmersofa zu sitzen? Und wer würde – wenn nicht noch ein Wunder geschah – am Ende als lachender Sieger aus der Sache hervorgehen? Kai, Kai und nochmals Kai! So unfair konnte das Leben doch gar nicht sein! Tränen des Zorns und der Verzweiflung stiegen mir in die Augen.
Ilka, die wohl annahm, dass mich der Gedanke an meine Großmutter und ihre letzte Hinterlassenschaft so traurig stimmte, reagierte erstaunlich einfühlsam und verzichtete ausnahmsweise auf weitere bissige Kommentare.
»Ich verstehe«, sagte sie. Das bezweifelte ich allerdings stark. Ilka schulterte ihr Designerhandtäschchen und wandte sich zum Gehen. »Na dann, noch einen schönen Abend und viel Erfolg.«
Den hatte ich. Nicht gerade einen schönen Abend, aber immerhin Erfolg. Als ich schon fast glaubte, die Suche nach dem verschütteten Fax einstellen zu müssen, wurde ich doch noch fündig. Unwillkürlich entfuhr mir ein kleiner Freudenschrei. Obwohl zum Glück noch alles zu entziffern war, sah das Blatt reichlich mitgenommen aus. Außerdem stank es bestialisch. Dem Geruch nach musste es in den vergangenen Stunden die engere Bekanntschaft mit einer Bananenschale und einer Dose Ölsardinen gemacht haben. Aber da Kais Augen meines Wissens in Ordnung waren, würde er beim Lesen wohl kaum mit der Nasenspitze aufs Papier stoßen. Wie ich ihm die Fettflecken (auch das sprach für meine Theorie mit den Ölsardinen) und die Knitter erklären sollte, bereitete mir schon mehr Kopfzerbrechen. Aber schließlich hatte ich noch eine ganze Nacht Zeit, um mir eine plausible Erklärung einfallen zu lassen.
Leider war die Nacht viel zu schnell vorbei gewesen. »Hier, für Sie.« Ich legte das besudelte Blatt vor Kai auf den Schreibtisch. »Sieht irgendwie komisch aus. Vielleicht ist das Faxgerät kaputt.«
Ein ziemlich schwacher Erklärungsversuch. Aber als ich am vergangenen Abend wieder zu Hause angekommen war, hatte ich mich erst einmal stundenlang unter die heiße Dusche gestellt, um den Gestank, der trotz Putzoverall überall an mir zu haften schien, loszuwerden. Und danach war ich vor lauter Erschöpfung ruck, zuck eingeschlafen.
»Ach das.« Kai sah kurz auf, würdigte das Schreiben aber kaum eines Blickes. Falls ihm irgendwas an dem Zustand des Schriftstücks merkwürdig vorkam, behielt er es für sich. »Das habe ich gestern schon gelesen.«
»Wie bitte?« Ich schnappte nach Luft. »Was soll das heißen – Sie haben es gestern schon gelesen?«
Kai, der meine Aufregung natürlich nicht verstehen konnte, lächelte mich treuherzig an und nippte an seiner Kaffeetasse. »Na, dass ich das Fax gestern schon gelesen habe, als es angekommen ist, nichts weiter.«
»Und warum lag es dann immer noch im Faxgerät?!«
»Gute Frage.« Kai zuckte die Achseln. »Ich muss es wohl vergessen haben mitzunehmen.«
Gleich würde ich auch etwas vergessen. Und zwar meine gute Erziehung! Ich spürte das dringende Bedürfnis, Kai entweder harte Gegenstände oder unflätige
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