Aszendent zauberhaft
missbilligt, denn es könnte ja sein, dass jemand aus der Außenwelt sich Twilights näherte und der Bewohner ansichtig wurde, die wie gelangweilte, eingesperrte, in einem Zoo zur Schau gestellte Tiere wirkten. Wenn man hinausspähte, kehrten Tony und Joy die Scheinheiligen hervor. Und auf gar keinen Fall würde Essie den Tugwells einen Vorwand zur Scheinheiligkeit bieten. Nicht, dass sie dafür wirklich einen Anlass bräuchten, sie waren einfach – tja – durch und durch selbstgefällig und heiliger als der Papst.
Dabei waren die Tugwells keineswegs irgendwie fies, so wie schnurrbartzwirbelnde, Buh-rufende Bösewichter. Sie waren nicht einmal die Art von Pflegeheimleitern, aufgrund derer Pflegeheimleiter einen schlechten Ruf hatten. Oh nein, so waren Tony und Joy Tugwell ganz und gar nicht. Sie waren nur einfach, Essies Meinung nach, für einen Pflegeberuf gänzlich ungeeignet.
Tony und Joy waren durch und durch egozentrisch, gefühlskalt und hatten nicht den geringsten Funken Humor.
Mit hervorragenden schriftlichen Qualifikationen für ihre Posten managten sie Twilights mit erbarmungsloser Effizienz. Ohne Zweifel erhielten sie dicke Sollerfüllungsprämien, mit denen sie ihre eigene Altersvorsorge aufpolstern konnten, und bescherten der Kommune, der das Heim gehörte, willkommene Einnahmen, aber für die individuellen Neigungen der Bewohner genehmigten sie keinerlei Sonderausgaben.
Das übrige Personal allerdings – die Pfleger der gebrechlicheren Twilights-Bewohner, die überwiegend osteuropäischen jungen Frauen, die kochten, sauber machten und beim Essen bedienten, die ehemaligen Krankenschwestern, die aus Hassocks herkamen, in Schichten arbeiteten und dafür sorgten, dass alle in ihren Einzelzellen wohlauf und zufrieden waren – war ganz wunderbar, fand Essie.
Nein, trotz der Fantasielosigkeit des kleinen Tony und der enormen Joy war Twilights für ein Altersheim sehr gut geführt und organisiert. Aber wenn man hier wohnte, fühlte man sich wie ein Lebenslänglicher in einem einigermaßen behaglichen Gefängnis, jedoch ohne die Möglichkeit, aufgrund guter Führung vorzeitig entlassen zu werden.
Tony und Joy Tugwell meinten, alte Leute wären alte Leute und Punkt. Alte Leute, so dachten Tony und Joy anscheinend, legten von dem Moment, in dem sie zu Rentenempfängern wurden, ihre Persönlichkeit und Vergangenheit ab. Alte Leute, fanden Tony und Joy offenbar, brauchten tagsüber Fernsehen, abends Kakao und zwischendrin kaum etwas anderes.
Essie glättete die graubraune Tagesdecke auf dem Einzelbett in ihrem beige gehaltenen Wohnschlafzimmer – oder »Appartement«, wie es in der Twilights-Broschüre genannt wurde – und dachte nicht zum ersten Mal, dass sie, wenn sich nicht bald etwas änderte, wahrscheinlich an Langeweile sterben würde, und zwar weit bevor sie Adas Alter erreichte.
Und da sie sehr triftige Gründe hatte, ihre eigenen Kinder überleben zu wollen, durfte sie das einfach nicht zulassen.
Doch immer schön eins nach dem anderen – nun galt es erst einmal Vorbereitungen für Adas Abgang zu treffen. Sie musste die Kleiderfrage mit Prinzessin und Lilith besprechen. Schwarz oder Dunkelblau? Vielleicht mit einem Akzent in Pink, weil Ada diese Farbe so geliebt hatte? Hüte oder nicht? Es war wichtig, auf die richtigen Kleinigkeiten zu achten, wenn man jemandem die letzte Ehre erwies.
Wie die meisten Twilighter hatte Ada nur selten Besuch bekommen. Und da der Platz in Twilights sicher alles Geld verschlang, das Ada besessen haben mochte, war Essie klar, dass die Beerdigung alles andere als luxuriös ausfallen würde und es für Familienangehörige, die vielleicht gierig und mit großen
Erwartungen aus dem Gebüsch hervorstürzen könnten, gewiss keine fette Beute zu holen gäbe.
Nein, dachte Essie betrübt, der Abschied von der armen Ada bestünde sicher wieder nur in einer trauerbekleideten Fahrt im Konvoi der Twilights-Minibusse zum nächstgelegenen Krematorium, einem inbrünstigen Chorgesang von »The Day Thou Gavest«, und dann ginge es zurück nach Twilights zu einem von Joys minimalistischen Büffets mit Schinkenhäppchen.
In Twilights ging jeder zu jedermanns Beerdigung, weil dadurch für den lieben Verstorbenen eine ordentliche Trauergemeinde zustande kam und weil man mal für ein paar Stunden rauskam und herrlich lästern konnte über die Trauerrede, den diensttuenden Pfarrer, die anderen Trauergäste, den Blumenschmuck – oder das Fehlen von selbigem – und die Auswahl der
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