Aszendent zauberhaft
Strähnen aufteilte und anfing, die Farben aufzutragen, schaltete Phoebe auf Autopilot und ließ die Gedanken schweifen …
In den Wochen seit ihrem Zusammenstoß mit Rocky Lancaster hatte sie ihn – und seine Musik, wenngleich in einer weitaus vernünftigeren Lautstärke – mehrfach im Obergeschoss gehört, wiedergesehen hatte sie ihn glücklicherweise aber nicht. Ihr war aufgefallen, dass auf seinem Parkplatz nicht mehr der schnittige Sportwagen aus seinem früheren Leben stand, sondern stattdessen ein ziemlich zerbeulter grüner Kleinbus. Obwohl er ihr angesichts seiner eingeschränkten Lebensverhältnisse ja eigentlich leidtun sollte, fiel es Phoebe schwer, auch nur den kleinsten Funken Mitgefühl aufzubringen. Schließlich hatte er sich das alles selbst zuzuschreiben, nicht wahr?
Außerdem hatte sie genug Zeit damit verbracht, sich selbst zu bemitleiden – da war nun nichts mehr übrig für einen brutalen Schläger, ganz gleich, wie atemberaubend gut er aussehen mochte.
Nach und nach gewöhnte sie sich daran, allein in der Wohnung zu sein. Nach Hause zu kommen war am schlimmsten, aber wenn sie sich erst etwas zu essen gemacht und zur Gesellschaft den Fernseher angeschaltet hatte, verflog das anfängliche Gefühl der Einsamkeit. Beinahe. Na, so ziemlich. Eines Tages würde sie vielleicht sogar gern allein sein …
Sie hatte, auch wenn sie sich ein bisschen albern vorkam und leichte Gewissensbisse hatte, unverzüglich dafür gesorgt,
dass ein neuer Riegel an ihrer Wohnungstür angebracht wurde und das Sicherheitsschloss ordentlich funktionierte. Außerdem verwarf sie seither jeden Gedanken daran, bei zum Garten hin offenen Terrassentüren zu schlafen. Besser ersticken, als überfallen werden. Nicht dass sie im Ernst damit rechnete, Rocky Lancaster würde die Treppe herunterschleichen, um sie grundlos zu verprügeln, aber es war doch ziemlich beunruhigend, mit jemandem im selben Haus zu wohnen, dem solche Gewalttaten bekanntermaßen zuzutrauen waren.
Aus diesem Grund hatte sie Rockys Anwesenheit ihren Eltern gegenüber auch mit keinem Wort erwähnt – sie hätten sonst darauf bestanden, dass sie auf der Stelle wieder nach Hause käme – und hatte Clemmie, YaYa sowie ihren anderen Freundinnen gegenüber die Fakten ein wenig frisiert, indem sie ihnen einfach nur erzählt hatte, dass Rocky nach seiner Trennung von Mindy nun alleine im ersten Stock wohnte. Außerdem hatte sie jegliche augenzwinkernde Anspielungen über zwei einsame Herzen, die zueinanderfinden könnten, auflaufen lassen, indem sie standhaft erklärte, dass sie für den Rest ihres Lebens von Männern wirklich die Nase voll hatte, und es Rocky mit den Frauen ebenso ginge, seit Mindy ihn verlassen hatte.
Arme Mindy, dachte Phoebe. Wie tapfer sie es überspielt hatte, eine von ihrem Lebenspartner misshandelte Frau zu sein. Phoebe – im Nachhinein klüger – wünschte sich, dass Ben und sie bei diesen schrecklichen lautstarken Auseinandersetzungen nach oben gelaufen wären und eingegriffen hätten. Niemand hätte vermutet, dass Rocky – der Heuchler! – sie als Boxsack benutzt hatte. Hätten sie nur geahnt, was vor sich ging! Hätten sie über Rocky Lancaster doch besser Bescheid gewusst!
Pauline war es, die schließlich unbeabsichtigt einige von Phoebes Wissenslücken gefüllt hatte.
»Jetzt weiß ich wieder, was ich dir erzählen wollte«, hatte Pauline im Salon gesagt, als Phoebe und sie versuchten, eine allzu feste Dauerwelle auszukämmen, ohne das Opfer zu skalpieren. »Weil du ja demnächst in Twilights zu tun hast und so. Diese alte Dame, die in Winterbrook ausgeraubt wurde, ist eine der Bewohnerinnen – im Moment kann ich mich nicht an ihren Namen erinnern, aber er wird mir schon wieder einfallen – ach, ich Dummchen, du kennst die ganze Geschichte ja wahrscheinlich sowieso, oder?«
»Sollte ich?«, hatte Phoebe erstaunt gefragt, während sie gerade versuchte, eine besonders verfilzte Locke zu entwirren. »Wieso?«
»Weil der Kerl, der es getan hat, ja dein Nachbar ist.«
»Nachbar?« Phoebe hatte die Stirn gerunzelt und versucht sich vorzustellen, wer von den redlichen älteren Bürgern in der Winchester Road mit einer ebenso älteren Dame um einen Anteil an ihrer Rente raufen würde. »Welcher Nachbar?«
»Der richtig nett aussehende Typ – da sieht man’s mal wieder.« Pauline hatte den Atem angehalten, als ein Klumpen Haar zu Boden fiel. »Entschuldige, Mabel, hat das geziept? Ja – wo war ich? – ein weiterer Beweis,
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