@ E.R.O.S.
seltsames Lächeln macht seine Lippen schmal. »Die auch als Körperdouble in Hollywood arbeitet? Und eine verkrüppelte Schwester in einem Rollstuhl hat, die ihr Leben verabscheut?«
Ich bin zu verblüfft, um sofort zu antworten. Ich vergesse erst einmal, daß Miles in mein Privatleben eingedrungen ist, und versuche herauszufinden, welche schockierende Enthüllung er mir gleich um die Ohren knallen wird.
»Harper«, sagt er mit dem Tonfall eines Lehrers, der ein Kind dazu bringen möchte, eine ganz einfache Frage zu beantworten. »Eleanor Rigby ist die Schwester im Rollstuhl.«
Diese Aussage trifft mich mit körperlicher Gewalt, als hätten meine Eltern mich gebeten, mich zu setzen, und mir enthüllt, daß ich adoptiert worden sei.
»Hast du das nie in Betracht gezogen?« fragt er sanft. »Eine Frau mit so viel Grips, daß es für eine erfolgreiche Krimiautorin reicht, aber auch mit einem Körper, den bekannte Regisseure für viel Geld auf Zelluloid bannen? Möglich, aber kaum wahrscheinlich.«
Plötzlich kommt es mir so offensichtlich vor. Aber noch vor einer Minute hatte ich nicht die geringste Ahnung. »Es ist nur ... Alles, was sie sagte, kam mir so aufrichtig vor.«
»Das war es auch. Jeder Teil von ›Eleanor Rigby‹ basiert auf objektiven und emotionalen Wahrheiten. Sie hat einfach die einzelnen Teile vermischt, die Rollen vertauscht. Sie lebt aus zweiter Hand, durch ihre Romane, und indem sie auf EROS mit Leuten wie dir spricht. Du bist ihr Geschlechtsleben, Harper. Du bist wirklich ihr Liebhaber,vielleicht die größte Liebe ihres Lebens. Traurig, nicht wahr?«
Eine formlose Welle des Zorns durchströmt mich, und in Ermangelung eines besseren Ziels richte ich ihn auf Miles. »Wer hat dir das Recht gegeben, mein Leben zu durchstöbern, gottverdammt? Du bist derjenige, der kein Leben hat.«
»Wir sind alle Voyeure«, sagt er in neutralem Ton. »Das ist der neue amerikanische Zeitvertreib. Ziemlich armselig, schätze ich, aber da befinden wir uns nun mal.«
»Das ist doch nur eine Ausflucht, Miles.«
»Kann schon sein. Wenn du die Wahrheit wissen willst, ich habe Eleanor überprüft, weil ihr euch ziemlich nah gekommen seid. Und du vielleicht sogar deine Ehe aufs Spiel setzt, falls Drewe zufällig sieht, was für Sachen ihr beide schreibt. Ich wollte mich nur vergewissern, daß sie keine Bekloppte ist. Du weißt schon, so eine, die plötzlich auftaucht und auf eurem Herd Kaninchen kocht.«
»Wie kann ich dir je danken?« Obwohl ich vor Sarkasmus triefe, verrät meine innere Stimme mir, daß Miles tatsächlich etwas daran liegt, was aus mir wird. Aber ich verspüre trotzdem den Drang, blindlings zurückzuschlagen. Bevor ich mich eines Besseren besinnen kann, stelle ich ihm die eine Frage, die ich ihm bislang erspart habe.
»Miles«, sage ich im Tonfall meines Vaters, »hast du in irgendeiner Hinsicht etwas mit diesen Morden zu tun?«
Er blinzelt überrascht.
»In irgendeiner Hinsicht.«
Er wendet den Blick ab und sieht mich dann wieder an. »Willst du mich sonst noch was fragen, wenn du schon dabei bist? Ob ich schwul bin? Das fragst du dich doch auch, oder?«
»Du weichst meiner Frage aus. Das macht mir angst.«
»Verdammte Scheiße, nein! Ich bin kein Mörder, der Leichen fickt, und bin auch nie einer gewesen, okay? Reicht dir das?«
Ich beobachte ihn ausdruckslos.
»Es ist nicht zu fassen, daß du mich das gefragt hast.«
Ich verspüre die seltsam menschliche Befriedigung, ihn so wütend gemacht zu haben wie er mich. »Gewöhne dich lieber daran. Ich bin auf deiner Seite, und ich mußte die Frage stellen. Was glaubst du, was das FBI denken wird?«
»He, ich weiß , was die Brüder denken. Deshalb muß ich dieses Arschloch auch schnappen.«
Ich rolle den Stuhl langsam mit den Füßen vor und zurück. »Ganz meine Meinung. Hast du einen Plan?«
»Glaubst du, ich bin in diese kulturelle Einöde zurückgekehrt, weil hier die Aussicht so schön ist? Natürlich habe ich einen Plan.«
Mein Puls beschleunigt sich. »Wie sieht er aus? Hast du eine Möglichkeit gefunden, seine Anrufe zurückzuverfolgen?«
Er schüttelt den Kopf. »Das könnte ich vielleicht, wenn ich die Unterstützung von AT&T und den großen Handyfirmen hätte. Aber die habe ich nicht, oder?«
»Also?«
Er gleitet vom Bett und steht auf. Sein nun freiliegender Bürstenhaarschnitt ist kaum mehr als ein Schatten auf seiner Kopfhaut. Er fährt mit der Hand darüber wie ein Mann, der den Stumpf eines amputierten Glieds
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