@ E.R.O.S.
Schlußfolgerung gelangt wie ich an diesem Nachmittag auf dem indianischen Grabhügel, aber wahrscheinlich schon vor drei Tagen. »Du willst, daß ich genau das tue, was Lenz vorhat. Daß ich mich als Frau ausgebe und mich online mit Brahma einlasse.«
Er lächelt. »Jetzt erzähl mir bloß nicht, daß du noch nicht daran gedacht hast. Und ich weiß, daß du es kannst. Viel besser als Lenz. Um Gottes willen, du bist ein Songschreiber. Ein verdammter Rattenfänger mit Worten.«
»Nicht gerade ein erfolgreicher.«
»Aus Gründen, die nicht das geringste mit deinem Talent zu tun haben. Und du hast bei Frauen ein größeres Einfühlungsvermögen als jeder andere Mann, den ich kenne. Jedes Mädchen, das wir kannten, hat dir irgendwann in seinem Leben seine dunkelsten Geheimnisse anvertraut. Oder liege ich da falsch?«
Er hat recht, aber ich bin nicht in der Stimmung, es einzugestehen. »Ich behaupte ja nicht, daß ich nicht daran gedacht habe. Aber Lenz hat ein paar Vorteile, die wir nicht haben. Zum Beispiel ein SWAT-Team, das ihn aus dem Verkehr zieht, wenn er auftaucht.«
»Das brauchen wir nicht! Wir versuchen nicht, ihn hierher zu locken. Wir haben drei einfache Ziele, die alle um das Trojanische Pferd gruppiert sind. Erstens: Wir müssen Brahma dazu bringen, an dich zu glauben. Zweitens: Die Beziehung muß Bestand haben, bis er vom Livechat auf E-mail umschaltet. Drittens: Wir müssen ihn dermaßen erregen, daß er nicht jeden Informationsbrocken überprüft, der von dir zu ihm fließt.«
»Du willst dein Trojanisches Pferd in meiner E-mail vergraben und hoffst darauf, daß er sie in seinen Computer herunterlädt?«
»Das ist eine Möglichkeit.«
»Aber wird er das Programm nicht sehen? Eine ablauffähige Datei, die huckepack mit einer E-mail kommt?«
»Das weiß ich nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob mir mit einer E-mail wirklich gelingt, was ich vorhabe. Aber ich habe einen Vorteil. Ich habe das E-mail-System von EROS entworfen. Wir brauchen eine Situation, in der ihr beide lange Briefe austauscht, sexuelle Phantasien, irgend etwas, das jede Menge Bits erforderlich macht. Wenn ich es mit der E-mail nicht schaffe, mußt du ihn dazu bringen, ein Programm herunterzuladen. Vielleicht behauptest du einfach, du wärest ganz wild darauf. Eine sexuelle Sache, die ich schnell improvisieren könnte. Vielleicht mit einer Bilddatei oder so.«
»Und was, wenn Brahma nicht auf E-mail umsteigt?«
»Dann mußt du ihn dazu bringen. Sag ihm, daß du live furchtbar nervös wirst. Oder deine Briefe gern in romantischer Kontemplation verfaßt, oder so einen Quatsch.«
Ich denke über den Plan nach und suche nach Schwachstellen. »Was für ein besonderes Trojanisches Pferd soll das genau werden?«
Das gelassene Lächeln eines Zenmeisters glättet Miles’ Züge. »Ein Meisterwerk. Fast unsichtbar, aber auf seine Weise tödlich. Eine Studie in Eleganz.«
Ich will ihn drängen, weiß aber, daß das sinnlos ist. »Wie lange wird es dauern?«
Er zuckt mit den Achseln. »Keine Ahnung. Das weiß ich nicht im voraus. So einen Kode zu entwerfen ... das ist keine lineare Arbeit. Ich meine, ich könnte mich Zeile um Zeile vorwärts quälen, aber wahrscheinlich starre ich zwei Tage lang den Fernseher an und komme dann auf den richtigen Dreh, wenn ich gar nicht daran denke.«
Er greift über das Doppelbett und holt eine meiner alten Martins von der Wand. Einen Augenblick lang betrachtet erdie vernarbte Oberfläche der Gitarre, dann klemmt er sie unter den Arm und legt die Finger auf die Saiten. Eine holprige Version von Neil Youngs »The Needle and the Damage Done« klimpert aus dem Schalloch. Ich habe ihm so um 1974 beigebracht, diese Melodie zu spielen. Mit vierzehn Jahren zog Miles sein eigenes Marihuana und trieb mich bald in den Wahnsinn mit dem Wunsch, ihm diesen Song beizubringen. Soweit ich weiß, ist er der einzige, den er spielen kann.
»Wie lange ist es schon her, seitdem du das zum letztenmal gespielt hast?« frage ich ihn.
»Ich habe es auf jeder Gitarre gespielt, die ich irgendwann in fremden Wohnungen an die Wand gelehnt fand.«
Ich lache gemeinsam mit ihm. Die Bande der Freundschaft sind seltsam, und der Augenblick ermutigt mich, schmerzhaft ehrlich zu sein. »Miles, die Sache, die wir besprochen haben, könnte eine Weile dauern. Du weißt so gut wie ich, daß jederzeit einer dieser Polizeiwagen draußen vor die Haustür fahren und ein Beamter mit einem Durchsuchungsbefehl aussteigen könnte. Und dann würde man
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