@ E.R.O.S.
alten Familienhauses, das nun prachtvoll renoviert worden war), einen sechsjährigen Jungen an der Hand, war er wie vor den Kopf geschlagen. Ich war praktisch sein Spiegelbild. Dunkelhaarig, hellhäutig, von klassischer Schönheit. Mutter erklärte die Ähnlichkeiten mit der Fiktion, daß ich Richards »Neffe« sei. Um mein vaterloses Dasein zu erklären, erzählte Catherine eine grauenhafte Geschichte von einer impulsiven Heirat mit einem jungen deutschen Soldaten, der kurz darauf an der russischen Front gefallen sei, und von drei schrecklichen Jahren in Vertriebenenlagern mit Onkel Karl. Das mit den Lagern stimmte. Die Kälte dort saß mir noch in den Knochen. Catherine enthüllte auch, daß ich an Hämophilie litt, derselben Art, wie Richard sie hatte. Das ließ die Gorgone einen vagen Verdacht schöpfen, doch da Hämophilie nur von Frauen weitergegeben wird, ließ ihr Argwohn sich zerstreuen.
Als Richard und Catherine endlich allein waren, gestand Mutter die Wahrheit. Es hat diesen deutschen Soldaten nie gegeben. Ich war Richards Sohn, auch wenn ich es nicht wußte. Halb verrückt vor Erschöpfung erzählte Mutter Richard, daß sie nur überlebt hatte, weil sie geschworen hatte, mich vor ihrem Tod zu ihm zu bringen. In ihren Augensah Richard die gleiche starre Entrücktheit wie bei seinem Vater, kurz bevor der sich erschossen hatte.
Richard ließ die Einwände der Gorgone nicht gelten und nahm uns in sein Haus auf. Die Spannungen zwischen den beiden Frauen wurden schnell größer, und eines kalten Morgens fand Richard Catherine tot in ihrem Bett. Sie hatte eine Überdosis Morphin aus seiner Arzttasche genommen. Sie lag zwei Tage lang im Haus aufgebahrt, in einem Bronzesarg, die feinen Hände über ihren stillen Brüsten gefaltet wie die einer gefallenen Märtyrerin. Ich wich nicht von ihrer Seite, außer um zu urinieren, und nahm keinerlei Nahrung zu mir. Ich schlief auch nicht. Als Catherines Leiche ins Krematorium gebracht wurde, brach ich zusammen und mußte ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Als Richard erklärte, er würde seinen »Neffen« adoptieren, leistete die Gorgone überraschenderweise kaum Widerstand. Ihm war damals nicht klar, daß ich – ohne Catherine – die Antwort nicht nur auf seine Gebete war, sondern auch auf die der Gorgone. Ich befreite sie für immer von dem Druck, ein Kind zu gebären. Doch die Dinge nahmen nicht ganz den Verlauf, den sie sich erhoffte.
Mit mir hatte Richard mehr als nur einen Sohn bekommen. Denn was war ich anderes als eine genetische Rekonstruktion seiner selbst und seiner Schwester? Die männlichen und weiblichen Hälften hatten sich in einem Wesen vereint. Ich war sein wiedergeborener Vater. Ich bekam eine Erziehung, wie er sie vor dem Börsenkrach genossen hatte – Privatlehrer, die sich auf die exakten Wissenschaften konzentrierten –, und ich enttäuschte ihn nicht. Als ich jede neue Erwartung übertraf, wurde Richard klar, daß seine Schwester recht gehabt hatte. Keine andere Frau hätte ihn so lieben können, wie sie ihn geliebt hatte, oder ihm solch ein Kind schenken können. Er gelangte zur Auffassung, daß das Schicksal durch unsere Blutlinie versuchte, die Menschheit auf eine höhere Stufe zu heben.Ohne sich dessen bewußt zu werden, begann er, Catherine als Heilige zu rühmen.
Im Lauf der Jahre brachte die Gorgone mir immer mehr Groll entgegen. Von Anfang an hatte sie einen zu tiefen Argwohn gehabt, als daß sie ihm hätte Ausdruck verleihen können, und nachdem sie eines Abends eine gewaltige Menge Gin getrunken hatte, stolperte sie nach oben in Richards Schlafzimmer und stellte ihn zur Rede. Mit einer langen Tirade setzte sie meine Mutter herab. Das hatte sie schon des öfteren getan, doch aus irgendeinem Grund rastete Richard an diesem Abend aus. Er sagte der Gorgone die Wahrheit. Zuerst verstand sie ihn völlig falsch, schrie, sie hätte schon immer gewußt, daß ich ein Bastard bin und Catherines »toter deutscher Soldat« eine Lüge war, die ihre Hurerei verbergen sollte. Als sie schließlich die Wahrheit begriff und lauthals über »dieses Teufelskind« zu heulen anfing, riß Richard sie von den Füßen, trug sie zum Treppenabsatz des ersten Stocks und warf sie über das Geländer auf den Marmorboden darunter.
Ich war damals vierzehn, und ich sah es. Das Geschrei hatte mich zum oberen Ende der Treppe gelockt. Richard war entsetzt, nicht weil er annahm, ich würde den Mord der Polizei melden, sondern weil er befürchtete, er hätte mich
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