@ E.R.O.S.
für immer verloren, weil er vor meinen Augen einen Mord begangen hatte. Ich weiß bis zum heutigen Tag noch genau, wie ich reagierte. Ich sagte: »Es war an der Zeit, daß du wegen dieser Beißzange etwas unternimmst, Onkel.«
Hältst du mich für einen kalten Menschen, Erin?
In der Stille, die auf diese Frage folgt, zwinge ich mich, überhaupt keine Position zu beziehen, keine moralische Grenze zu ziehen, die Brahmas Flutwelle des Geständnisses beenden könnte.
ERIN>
Es kommt mir fast wie ein Film vor. Ich kann mir dasalles genau vorstellen. Ist es wirklich passiert? Wirklich echt?
MAXWELL>
Absolut. An diesem Abend nahm Richard mich in sein Arbeitszimmer mit, um mir zu erklären, was geschehen ist. Ausnahmsweise mußte er nach den richtigen Worten suchen. Er erkannte, daß er den Punkt erreicht hatte, an dem er alles riskieren mußte. Er würde entweder einen Sohn gewinnen oder mich für immer verlieren. Er sagte mir die Wahrheit. Er war nicht mein Onkel, sondern mein Vater. Onkel UND Vater. Er erzählte mir von der verbotenen Vereinigung zwischen ihm und seiner Schwester, und wie durch diese sakrale und sexuelle Vereinigung eine unermeßliche Kraft, ein unglaubliches Talent erschaffen worden war – ich.
Wir hatten stets eine intensive Verwandtschaft gefühlt, teilweise, weil wir uns so ähnlich waren, aber auch wegen unserer gemeinsamen Krankheit. Während dieser Stunde im Arbeitszimmer wurde unsere Verbindung geweiht. Wir schworen, beim »Unfalltod« der Gorgone zusammenzustehen, und teilten von diesem Augenblick an die Überzeugung, daß wir jenseits aller moralischen Zwänge standen. Ich wurde an diesem Abend wiedergeboren, Erin. Inzest und Mord waren meine Geburt.
ERIN>
Du warst vierzehn, als dies geschah?
MAXWELL>
Ja. Ich hatte mir dies so lange gewünscht, und plötzlich war es Wirklichkeit geworden. Ich hatte nie für möglich gehalten, daß ich von einem anonymen deutschen Soldaten gezeugt worden war, der zu dumm gewesen war oder nicht das Glück gehabt hatte, einen Krieg zu überleben. _Natürlich_ war mein Vater ein bekannter Psychiater. Falls ich ein wenig _zu_ bereitwillig war, mich als den
Übermenschen
zu sehen, als den Richard mich bezeichnete, sollte das Schicksal ihm recht geben. Drei Jahre später begann ich mein Medizinstudium.
Trotz meiner Entschlossenheit, ruhig zu bleiben, balle ich triumphierenddie rechte Hand zur Faust. Drewes Theorie kommt mir mit jeder verstreichenden Minute wahrscheinlicher vor.
ERIN>
Also _bist_ du Arzt. Ich ahnte so etwas.
MAXWELL>
Ja. Aber ich möchte nicht darüber sprechen.
ERIN>
Was willst du damit sagen?
MAXWELL>
Ich verspüre den perversen Drang, dir von meinen Fehlschlägen zu erzählen. Meinen Wunden. Meinen dunkelsten Reisen.
ERIN>
Warum willst du dich auf deine Fehlschläge konzentrieren?
MAXWELL>
Verstehst du, worin der grundlegende Unterschied zwischen Männern und Frauen liegt? Frauen können einfach
SEIN
. Die Frau erlangt durch ihre bloße Existenz Identität, durch den biologischen Imperativ. Sie wartet lediglich auf die Erfüllung, so wie du. Aber der Mann muß
WERDEN
. Er muß sich selbst schaffen. Er muß sich von seiner Mutter losreißen, die Nabelschnur durchtrennen und sich in die Welt
JENSEITS
dieser Selbstgenügsamkeit begeben. Der Mann muß Trost und Erfüllung hinter sich lassen und sich freiwillig ins Exil begeben. Das verstehst du doch, oder?
ERIN>
Ich glaube schon.
MAXWELL>
Es kann eine dunkle Reise sein. Ich war kein normaler Heranwachsender, Erin. Ich sah Elvis Presley als die Karikatur eines Dionysos für das bourgeoise Amerika. Als der Stern der Beatles aufging, ignorierte ich sie. Zu fröhlich, zu glücklich. Aber dann veränderte die Welt sich. Die Rolling Stones, die Doors, Hendrix. Ich tauchte tief in die Drogensubkultur ein. Richard war schon immer ein Freigeist gewesen, und von Berufs wegen Experte für Pharmakologie. Er kannte sich schon mit Halluzinogenen aus, bevor Leary von LSD auch nur gehört hatte. Er führte mich in dieser Hinsicht, wie auch in jeder anderen. Ich war im richtigen Alter für Vietnam, doch meine Hämophilieverhinderte, daß ich eingezogen wurde, genau, wie es vorher bei meinem Vater der Fall gewesen war. Ich war wohlhabend, an einer Eliteuniversität, kam mit dem Medizinstudium rasend schnell voran. Doch in einer Hinsicht blieb die Erfüllung mir verwehrt. Ich meine das Gebiet, dessen Erkundung
EROS
sich verschrieben hat.
ERIN>
Sex?
MAXWELL>
Ja. Wir alle sind Sklaven
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