@ E.R.O.S.
des Rituals paaren würde. Während wir voneiner Stelle außerhalb des Kreises zusahen, zogen die Teilnehmer sich aus und kopulierten an Ort und Stelle. Während dieses Rituals wurde kein Tabu, kein Gesetz beachtet; die Klassenzugehörigkeit spielte keine Rolle. Wenn ein Mann das Untergewand seiner Schwester auswählte, liebten sie sich wie Fremde und ehrten mit ihrer Verzückung die Göttin. Für meinen Vater war das Erlebnis eine Epiphanie, eine Bestätigung seiner Lebensgeschichte. Für mich war es geradezu elektrisierend, die geistige Antithese einer römischen Orgie. Es war heiliger Sex. Als die Männer und Frauen um uns herum sich endlich die Erlösung durch den Orgasmus gewährten – die wir für verboten gehalten hatten –, wurde mir klar, daß diese Reise nicht wie die anderen war. Die Zeit floß in sich selbst zurück, riß mich einer großen Umkehrung entgegen.
Von unserem Erfolg ermutigt, drangen wir tiefer ins Landesinnere ein. Unser einziger Schutz in diesem unwegsamen Land waren unsere Intelligenz, unser Geld und die Kraft unserer Glieder. Meinem Vater ging es sehr schlecht. Hämophilie führt zum Verfall der Gelenke, und der Zustand meines Vaters verschlechterte sich rapide. Doch wie wahnsinnige weiße Großwildjäger, die auf der Suche nach dem mythischen Elfenbeinfriedhof Elefanten verfolgen, marschierten wir endlose Kilometer über Gras und Felsen, auf der Suche nach dem einen bedeutenden Kult, von dem Richard noch keine Spur hatte finden können, dem Thuggismus.
Die Thug waren eine Räuberkaste, die in Indien jahrhundertelang ihr Unwesen getrieben hatte. Sie lebten davon, sich auf der Straße Reisenden anzuschließen und diese dann im Schlaf zu erwürgen. Sie stahlen all ihr Geld und ihre Besitztümer und versteckten die Leichen dann fachmännisch. Das ist an sich natürlich kaum bemerkenswert. Die Thuggee waren jedoch einzigartig, weil die Morde, die sie begingen, Bestandteil ihrer Religion waren. Sie beteten Kali – die Göttin des Todes und der Zerstörung – in ihrenvielen Gestalten an. Kali die Schwarze, die Verräterin, der man sich nur schwierig nähern kann. Für sie war Mord ein Sakrament, und die Beute war die ihnen zustehende Belohnung. Die Engländer behaupteten, die Thug gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts ausgemerzt zu haben, doch mein Vater war der Ansicht, daß ein Kult, der jahrhundertelang in Blüte gestanden hatte, nicht in einem einzigen Feldzug völlig ausgelöscht werden konnte. Er hatte recht. Nachdem wir viele Wochen lang geflüsterten Hinweisen gefolgt waren, die wir viel zu teuer erkauft hatten, und Warnungen, die kostenlos gerufen wurden, wurden wir in das Haus eines Mannes eingelassen, der schließlich eingestand, daß es Kalis mörderischen Kult noch gab. Nach einer schlaflosen Nacht der Gespräche mit Richard (während der eine beträchtliche Geldsumme den Besitzer wechselte) gestand der Mann ein, daß er selbst Kali anbetete und in den Bräuchen der Thug unterwiesen worden war. Für meinen Vater war es die Kulmination seines Lebenswerks. Doch während er begierig die verborgensten Geheimnisse der östlichen Welt in sich aufnahm, knüpfte ich eine andere Bekanntschaft an.
Der Thug hatte drei Töchter. Zwei plapperten unaufhörlich vor sich hin, doch die mittlere schwieg. Sie war natürlich dunkelhäutig, aber auch unsäglich schön. Sie beobachtete mich, wohin auch immer ich ging, und ich beobachtete sie. Am dritten Abend kam sie zu meiner Pritsche. Es war der erste freiwillige Geschlechtsverkehr in meinem Leben mit einer Frau, die keine Hure war. Ich mußte nichts sagen. Beim erstenmal lag sie reglos wie eine Tote unter mir. Beim zweitenmal saß sie wie eine schwarze Göttin auf mir und intonierte Worte, die wie ein Krummsäbel meinen Verstand durchschnitten:
Hat Kali, meine Göttliche Mutter, einen dunklen Teint? Sie erscheint aus der Ferne schwarz, ist es jedoch nicht mehr, wenn man sie genau kennt. Sie fesselt und befreit einen gleichermaßen. Sie muß immer ihren Willenbekommen.
In diesem Augenblick zerschlug dieses junge Mädchen meine geistigen Ketten und brachte mich zu einem heftigen, explosiven Höhepunkt. Ich ging als verwandelter Mensch daraus hervor. Am Morgen erfuhr ich erstaunt, daß dieses stolze Mädchen Englisch sprach, was in dieser Provinz sehr selten vorkam. Man hatte es sie gelehrt, damit sie Reisende ansprechen und in Sicherheit wiegen konnte. Drei Nächte lang führte sie mich in Wunder ein, die ich mir nie hatte vorstellen können
Weitere Kostenlose Bücher