@ E.R.O.S.
weil ich mich über das Gerät beugen muß. Als ich fertig bin, fällt mir ein, daß ich Miles versprochen habe, ihm die Seiten ebenfalls zu schicken. Ich strecke mich kurz und wiederhole den Prozeß dann. Als die letzten Seiten eingezogen werden, klingelt mein Bürotelefon. Normalerweise würde ich das Gespräch dem Anrufbeantworter überlassen, aber es ist so spät, daß die Zahl der möglichen Anrufer ziemlich begrenzt ist.
»Ich bin’s«, sagt Miles, als ich das schnurlose Telefon einschalte.
»Bist du in Sicherheit?«
»Ich schwimme mit dem Strom.«
»Was gibt’s?«
»Das Trojanische Pferd hat nicht funktioniert.« Er klingt, als sei gerade sein bester Freund gestorben.
»Ein Programmfehler?«
»Verdammt, nein. Ein Abstimmungsproblem.«
»Was heißt das?«
»Kann ich dir nicht sagen.«
»Ich lege jetzt auf.«
»Warte mal ...«
»Dann hör mit der Scheiße auf.«
»Dein Telefon könnte angezapft sein, Mann.«
»Das ist mir mittlerweile egal. Das FBI hat Brahma übrigens nicht geschnappt. Sie haben den Falschen verhaftet.«
Miles zögert. »Das weiß ich.«
Ich sage nichts.
»Du hast mir die Brahma-Seiten nicht gefaxt«, sagt er.
»Ich habe sie gerade an EROS geschickt. Und jetzt sag mir, was mit dem Trojanischen Pferd los ist.«
Nach langem Schweigen beginnt er mit dem Mister-Rogers-Tonfall zu sprechen, mit dem er Leuten wie mir technische Angelegenheiten erklärt. »Der Kode, den ich geschrieben habe, ist in den komprimierten Daten von Erins JPEG-Foto verborgen, klar? Als Brahma die JPEG in seinen Computerrunterlud, hat er das Pferd in seine Stadt gezogen. Als er es sich ansah, tauchte Erins Foto problemlos auf dem Bildschirm auf. Doch unmittelbar davor ist mein Programm davongeschlüpft und hat sich in einem anderen Teil seines Computers eingenistet. Alle vierundzwanzig Stunden – jeweils um halb zwei morgens – wird dieses Programm erwachen und über Brahmas EROS-Interface meine EROS-Mailbox anwählen. Sobald die Verbindung hergestellt wird, werde ich eine Kopie von allem runterladen, was es auf Brahmas Festplatte findet. Und es würde mich sehr überraschen, wenn dort nicht irgendwo sein Name steht.«
Ich verspüre einen plötzlichen Anflug von Hoffnung. »Ist das wirklich möglich?«
»Wenn Brahma nicht wegen der schwarzen Linie im Bild Verdacht schöpft und den verborgenen Kode entdeckt, wird es so kommen. Die einzige Frage ist, wann.«
»Wie deutlich ist die schwarze Linie?«
»Sie ist praktisch unsichtbar. Ich habe es so hingekriegt, daß sie von dem dunklen Stein ganz unten auf dem Foto verborgen wird.«
Ich marschiere mit dem Schnurlosen durchs Büro. »Du bist ein Genie, Mann! Du wirst ihn schnappen!«
»Wir werden sehen«, sagt Miles mit ungewohnter Bescheidenheit. »Wie bist du auf halb zwei morgens gekommen?«
»Ich habe Brahmas Aktivitätsmuster in jüngster Zeit analysiert. Zu dieser Zeit ist er nur selten aktiv.«
»Muß sein Computer eingeschaltet sein, damit es funktioniert?«
»Ja.«
»Wird er es mitbekommen, wenn er gerade am Gerät sitzt?«
»Nein. Wenn ein anderes Programm läuft, wird das Trojanische Pferd sich nicht aktivieren.«
»Aber wenn sein Computer ausgeschaltet ist, kann es sich nicht aktivieren?«
»Genau. Aber ich vermute, daß er all seine Computer ständigeingeschaltet läßt, genau wie ich und alle anderen, die sich damit auskennen. Außer, es ist ein Notebook.«
»Also hat er heute morgen um halb zwei an seinem Computer gearbeitet?«
»Darauf kannst du wetten.«
»Verdammt. Du wirst diese Sache knacken. Du wirst ...« Ich bleibe in der Mitte des Raums stehen und schaue zum EROS-Computerbildschirm hinüber.
»Harper?«
»Ich habe eine E-mail. Über EROS.«
»Von wem?«
Ich gehe zum Computer und klicke die Maus auf das E-mail-Icon. »Es ist Brahma. Als ›Maxwell‹. Ich dachte, EROS sei abgeschaltet.«
»Was für eine Zeitangabe hat die Nachricht?«
»Vor einer halben Stunde.«
»Verdammt.«
»Wie kann er in dem System sein, wenn es abgeschaltet ist?«
»Abgeschaltet heißt nicht ausgeschaltet. Es heißt nur, daß die Server für die Abonnenten geschlossen sind. Sie laufen aber noch.«
»Dann ist er also im System?«
»Er hat offensichtlich eine E-mail durchgebracht. Ich überprüfe es gleich. Wie lautet die Nachricht?«
Ich lese sie laut ins Telefon vor: »Erin, ich weiß, du hast mir gesagt, ich solle dir keine E-mail schicken, aber ich mußte es. Ich kann nicht ausdrücken, was ich in diesem Augenblick fühle. Ich habe das
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