@ E.R.O.S.
Trockenheit schließlich ihr Ende nimmt und alles durchnässender Regen einsetzt, der die versengten Felder überflutet und eine Fäule auslöst, die bares Geld kosten wird. Männer, die sich wie Narren vorkamen, weil sie ein Glücksspiel gegen Gott gewagt hatten, indem sie zum falschen Zeitpunkt Wachstumsregulierer ausgebracht und schließlich »Leck mich am Arsch!« gesagt und Tagelöhner eingestellt haben und nun die vier Reihen der Pflücker antreiben, um zu retten, was zu retten ist.
Von meiner Veranda aus beobachte ich metallgraue Wolken, die sich über den Feldern meiner Nachbarn zusammenziehen. Sie hängen schwer und wie zum Spott am Himmel, unbewegt vom Wind oder dem Dröhnen der Pflückmaschinen. Drewe fuhr heute morgen schon ganz früh zur Klinik in Yazoo City. Ich habe den Großteil des Tages damit verbracht, von einem Zimmer zum anderen zu gehen und mein Büro zu meiden. Niemand hat angerufen, nur wenige Autos sind auf der Straße vorbei gefahren, und trotz des langsamen, staubigen Fortschritts der Pflücker scheint die ganze Welt zu warten.
Das Klingeln meines Bürotelefons ist fast ein willkommenes Geräusch. Ich trabe durch die Haustür und biege nach links, erwarte, Daniel Baxters Stimme auf dem Anrufbeantworterzu hören, oder Miles’, aber es ist keiner der beiden. Es ist Drewe, und sie klingt erschüttert.
Ich hebe ab und sage: »Ich bin da.«
»Harper, du mußt sofort nach Jackson fahren.«
»Was? Was ist los?«
»Ich fürchte, Erin könnte sich was antun.«
» Was? Sie hat gedroht, Selbstmord zu begehen?
»Nein, sie hat mir gesagt, alles sei in Ordnung.«
»Dann ist doch ...?«
»Es ist keineswegs alles in Ordnung. Das wissen wir. Aber sie hat mir gesagt, sie habe eine Möglichkeit gefunden, all ihre Probleme zu lösen. Sie hat gesagt, es würde allen eine Weile weh tun, aber schließlich und endlich sei es zum Besten.«
Ich fühle mich, als würde meine Körpertemperatur stark absacken.
»Ich möchte, daß du sofort hinfährst.«
»Solltest nicht lieber du fahren?« frage ich.
»Sie will mich nicht sehen. Ich würde trotzdem fahren, aber ich habe hier eine schwere Geburt. Es könnte eine Weile dauern.«
»Drewe, ich kann mir nicht vorstellen, daß Erin möchte, daß ausgerechnet ich mich in ihre Probleme einmische. Sie mag mich nicht mal.«
»Harper, bitte. Erin respektiert dich mehr als jeden anderen Mann, den sie kennt.«
»Du machst Witze.«
»Und warum hat sie mir das dann gesagt? Jetzt schaff deinen Arsch nach Jackson rüber und rede ihr aus, irgendeine Dummheit zu machen. Hol sie da raus, wenn es sein muß.«
»Und wohin soll ich sie bringen?«
»Notfalls zu uns. Tu, was immer du tun mußt.«
»Und wenn sie nicht mitkommen will?«
»Dann läßt du dir etwas einfallen. Bitte fahr jetzt los.«
»Ich bin schon unterwegs.«
»Ruf mich an, falls die Sache außer Kontrolle geraten sollte,und ich treibe jemanden auf, der diese Entbindung übernimmt.«
Falls die Sache außer Kontrolle gerät? Ich lege auf und schaue mich im Büro nach meinen Schlüsseln um. Die Sache ist schon längst außer Kontrolle geraten, und ich habe das Gefühl, daß es noch schlimmer kommen wird.
Erin und Patrick wohnen in Jackson im Stadtteil Belhaven. Die meisten Menschen mit ihrem Einkommen wären schon längst in die Enklaven von Ridgeland und Madison hinausgezogen, aber Patrick hat die Flucht der Weißen genutzt, um ein königliches Haus zu einem bürgerlichen Preis zu erstehen. Es gelang mir, die gesamte Fahrt von einer Stunde und zwanzig Minuten von Rain hierher hinter mich zu bringen, ohne dabei nachzudenken. Ich legte Joni Mitchells Hejira ein, drehte die Lautstärke bis zur Schmerzschwelle hoch und folgte Jaco Pastorius’ sorglosem Baß, wie er sich durch die Räume zwischen Larry Carltons Gitarre und der schwebenden Singstimme wand. Doch nun bin ich hier.
Die Haustür hat diesen knotigen Schliff, den man bei einem viktorianischen Herrenklub erwarten würde. Ich hämmere den großen Messingklopfer gegen das Holz und warte, höre, wie die Schläge über die Schiefer- und Hartholzböden des Hauses hallen. Mindestens eine Minute verstreicht, bis ich Absätze klacken höre. Es raschelt in den Gardinen des Fensters neben der Tür, dann ist wieder alles still.
Ich greife nach der Klinke und stoße die Tür auf.
Erin steht direkt hinter der Tür und sieht mich mit unnatürlicher Ruhe an. Die blauen Flecken in ihrem Gesicht sind an den Rändern gelb und heben sich deshalb von der
Weitere Kostenlose Bücher