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@ E.R.O.S.

@ E.R.O.S.

Titel: @ E.R.O.S. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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gebräunten Haut ab, die die Schäden ansonsten vielleicht überdeckt hätte. Ihr linkes Auge ist eine einzige Prellung, die wie die indigoblaue Karte einer Insel aussieht. Im Winkel des Auges selbst mache ich Blutsprenkel aus. Diesen Schlag hat ihr eine Faust verpaßt.
    Sie trägt ein fliederfarbenes Sommerkleid aus Leinen. Esliegt an ihrem Oberkörper so glatt wie ein Seidenmieder an und bauscht sich leicht an ihrer Taille. Eine weitere Prellung entstellt ihre linke Brust dort, wo sie in dem Kleid verschwindet. Sie hat ihr Haar hochgesteckt, und es fällt in einer dunklen Gischt bis auf ihren Nacken. Sie trägt weder Schuhe noch Ohrringe, auch keine Armbanduhr und keinen Ehering.
    »Komm rein«, sagt sie, dreht sich um und geht durch die Diele. »Wir sind im Fernsehraum.«
    »Ist Patrick hier?«
    Ihr Hinterkopf dreht sich von einer Seite zur anderen.
    Während sie tiefer ins Haus geht, befürchte ich, daß Drewe mit der hier lauernden Gefahr recht haben könnte. Die Klimaanlage ist nicht eingeschaltet, was am heutigen Tag schon genug Beweis für eine geistige Instabilität ist. Vor mir schreitet Erin mit der Anmut aus, die sie schon immer gehabt hat, doch ihre Geschmeidigkeit kommt mir seltsam übertrieben vor. Die Dunkelheit und Wärme nehmen mit jedem Schritt zu, den ich tue. Bei mir stellt sich die beunruhigende Vision ein, ich folge einer Ägypterin in ein Grab.
    Was spüre ich hier?
    Entschlossenheit. Irgendeine Entscheidung ist gefallen. Eine Wahl wurde mit kaltem Bedacht getroffen, und ihre Last ist fast körperlich spürbar. Als Erin aus dem dunklen Flur in einen blauen Glanz tritt, steigt Furcht in mir empor. Nicht um mich selbst, sondern vor dem, was ich am Ende dieser kurzen Reise vielleicht finden werde. Wo ist Holly? schreit es in meinem Kopf. Ich beschleunige meine Schritte, eile in der Hoffnung, jedwede Wahnsinnstat, die sie vielleicht noch nicht ausgeführt hat, verhindern zu können, hinter Erin her.
    Dann sehe ich Holly. Sie liegt auf dicken Kissen vor Patricks geliebtem Zweiundfünfzig-Zoll-Fernseher. Sie wendet mir den Rücken zu und scheint sich nicht zu bewegen. Erin sehe ich zuerst gar nicht; dann mache ich sie im Schatten aus. Sie sitzt in einem Polstersessel an der gegenüberliegenden Wand, die langen, nackten Beine auf einer Ottomane ausgestreckt. Ich gehe schnell zu Holly und beuge mich über sie.Ihre Augen sind kaum geöffnet. Ich starre mit hektischer Intensität auf den kleinen Bauch unter dem »Precious Cargo«-T-Shirt, um auszumachen, ob ihre Brust sich hebt und senkt.
    Sie atmet. Während Erleichterung mich überkommt, hebe ich sie vom Boden auf, als sei sie gewichtslos.
    »Du wirst sie aufwecken«, sagt Erin.
    Ich lege Hollys Kopf auf meine linke Schulter und wiege sie sanft, während ich durch das Zimmer gehe.
    »Setz sie wieder ab«, beharrt Erin. »Es ist Schlafenszeit. Wenn Ursula die Seehexe kommt, kriegt sie schon nichts mehr mit.«
    Ich drehe mich zum Fernsehgerät um und sehe den beruhigenden gelben Fleck, der Flunder darstellt, und dann das orangene Haar von Ariel, der kleinen Meerjungfrau. »Was geht hier vor, Erin?«
    »Was meinst du?«
    »Mach das Licht an.«
    »Ich will Holly nicht wecken.«
    »Das ist mir egal.«
    »Du bist nicht ihre Mutter.«
    »Ich ...«
    »Das bist du auch nicht«, faucht sie. »Nur im genetischen Sinne. Du bist der Samenspender. Was hast du überhaupt hier zu suchen?«
    »Drewe hat mich angerufen. Sie macht sich Sorgen um dich.«
    Erin steht auf und kommt auf mich zu. »Gib sie mir. Sie schläft schon.«
    »Zuerst sagst du mir, daß hier nichts Gefährliches vor sich geht. Daß Holly in Ordnung ist.«
    »Was?« Ihre Stimme senkt sich zu einem bedrohlichen Flüstern. »Du-gibst-mir-mein-Kind. Sofort!«
    Zögernd gebe ich den kleinen Körper frei, der mein Fleisch und Blut ist, aber unter dem Dach, unter dem Schutz eines anderen Mannes lebt. Erin verläßt mit Holly den Raum.
    Als sie zurückkommt, ist sie allein. Sie schaltet die Deckenlampeein, streckt sich auf dem Sessel und der Ottomane aus und betrachtet mich, als sei ich irgendein nichtmenschliches Geschöpf von nur geringem Interesse.
    »Also«, sagt sie. »Was hast du hier zu suchen?«
    Ich suche nach Worten, die nicht gespreizt klingen, finde aber keine. Ich habe den Eindruck, daß man mich völlig vergebens losgeschickt hat. Erin sagt nichts, gibt sich damit zufrieden, mich schweigend leiden zu lassen. Wer sind wir? frage ich mich. Zwei Menschen, die vor drei Jahren zufällig drei Tage

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