@ E.R.O.S.
ich mich, ob Miles noch frei und in Sicherheit ist, aber ich widme ihm nur ein paar Sekunden. Die Vorkommnisse der letzten paar Tage kommen mir jetzt weit entfernt vor, so wie ein tragisches Ereignis, über das vor Jahren in den Nachrichten berichtet worden ist. Tausend Gedanken gehen mir durch den Kopf, und jeder gilt nur einem Gegenstand: Drewe. Wird sie zu Hause sein, wenn ich dort eintreffe? Nein. Ich habe noch mindestens eine Stunde, um mich vorzubereiten, vielleicht sogar mehr, wenn die Entbindung wirklich schwierig verläuft. Aber was für einen Sinn hat diese Vorbereitung? Wäre sie dort, wenn ich nach Hause käme, könnte ich in den ersten dreißig Sekunden mit der Wahrheit herausplatzen, bevor Zweifel und Furcht mich in eine rückgratlose Qualle verwandeln.
Als ich die letzte Abzweigung zu unserem Haus nehme, sehe ich keine Fahrzeuge von Beschattern. Ich vermute, daß Baxter sich längst nicht mehr so stark für mich interessiert wie zuvor. Doch als ich abbremse, um auf die Auffahrt abzubiegen, mache ich einen klobigen Ford aus, der im Schatten unserer Trauerweide steht. Braun wie Babyscheiße und mit einer hohen Antenne. Einen Moment lang denke ich FBI . Dann sehe ich das Nummernschild des Bundesstaates Mississippi. Ich greife nach unten und berühre den Griff meines .38ers, der unter dem Sitz hervorragt. Schließlich könnte Brahma in diesem Wagen sitzen.
Ich biege langsam auf die Einfahrt, fahre sie entlang und bleibe praktisch vor dem Kühler des Ford stehen. Zwei Männer sitzen darin. Während ich noch versuche, sie zu erkennen, werden die beiden vorderen Türen geöffnet, und beide Männer steigen aus. Der Fahrer ist ein großer Mann Ende Dreißig mit rotem Gesicht, der in seinem Polyesteranzug aussieht wie eine Wurst in der Pelle. Der andere Mann ist älter und hat einen dunklen Teint. Etwas an ihm kommt mir bekannt vor.Dann grinst er mich schief an, und ich erkenne Detective Michael Mayeux von der Polizei von New Orleans.
»Harper Cole?« sagt der rotgesichtige Fremde, während er mit beunruhigender Schnelligkeit auf mich zugeht.
»Ja?«
»Ich bin Detective Jim Overstreet von der Polizei von Jackson. Ich verhafte Sie wegen Behinderung der Justiz und Beherbergung einer Person, die von den Bundesbehörden gesucht wird.«
Während ich Mayeux schockiert ansehe, legt Overstreet mir vor dem Bauch Handschellen an und zieht mich zur Seite des braunen Wagens.
»Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern. Alles, was Sie sagen, kann und wird gegen Sie verwendet werden ...«
Mayeux sieht mich nicht an, während er wieder auf dem Beifahrersitz Platz nimmt. Eine der großen Hände Overstreets drückt meinen Kopf herab und schiebt mich auf den Rücksitz.
»Haben Sie diese Rechte verstanden, die ich Ihnen gerade erklärt habe?«
»Augenblick mal! Verdammt noch mal, was geht hier vor?«
Overstreet beugt sich herab, so daß sein sonnenverbranntes Gesicht das Fenster ausfüllt. »Haben Sie die Rechte verstanden, die ich Ihnen gerade vorgelesen habe, Sie Arschloch? «
Ich sehe Mayeux hilfesuchend an, sehe aber nur durch ramponiertes Drahtgeflecht seinen dunkel gesprenkelten Hals.
»Ich habe verstanden.«
Overstreet schlägt die Tür zu.
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I
ch spüre den Fluß der Zeit, als würde mein Herzblut verströmen. Mayeux benimmt sich, als würde ich nicht mal auf dem Rücksitz hocken. Er und Overstreet plaudern gelegentlich über unwichtiges Zeug, aber nicht über mich. Daß ich hier hinten in diesem Wagen eingesperrt bin, kann nur eins bedeuten: Zwischen dem FBI und der Polizei hat ein Machtwechsel stattgefunden. Ich will wissen, was los ist, habe aber nicht die Kraft, gegen Mayeux’ sphinxhaftes Benehmen zu protestieren. Ich sehe immer wieder Erin, wie sie in ihrem dunklen Haus sitzt und darauf wartet, daß Patrick nach Hause kommt, damit sie endlich seine zwanghaften Verdächtigungen mit einer schrecklichen, lebensgroßen Wahrheit zerschlagen kann.
Wie lange wird es noch dauern, bis diese Idioten mich telefonieren lassen? Kann ich einfach meine Kaution bezahlen und hinausmarschieren? Nein. Eine Kaution muß festgesetzt werden, bevor man sie entrichten kann. Das bedeutet, daß Anklage gegen mich erhoben werden muß. Ist das so spät am Nachmittag noch möglich? Hat in Jackson ein Richter Nachtdienst? Die Vorstellung, daß ich die Nacht in einer Zelle verbringen muß, bevor ich einem Richter vorgeführt werde, macht mich leicht benommen. Was, wenn ich heute abend nicht mehr nach Hause komme? Wird Drewe
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