@ E.R.O.S.
sie ist. Danach wird er hierher kommen. Um zu sehen, wo es passiert ist. Um sich zu überzeugen, daß es passiert ist. Und um dann herauszufinden, wer, verdammt noch mal, dafür verantwortlich ist.
Eins weiß ich genau: Ich will nicht, daß Drewe oder Bob mein Schlachthaus von Büro sehen müssen. Drewe hat es einmal gesehen, und das war einmal zuviel. Vielleicht kann ich nicht die Taten auswischen, die zu Erins Tod geführt haben, aber ich kann jeden einzelnen verdammten Tropfen Blut in diesem Büro aufwischen. Und sollte ich das nicht können, kann ich das verdammte Ding morgen früh neu streichen. Buckner und das FBI werden mich wahrscheinlich wegen der Vernichtung von Beweisen kreuzigen, aber Beweise haben noch niemanden zu Brahma geführt. Aus einem Schrank in der Waschküche hole ich einen Kanister Clorox, einen Eimer, ein paar Gummihandschuhe, die zu klein für meine Hände sind, und einen Mop, und trage alles zu meiner Bürotür.
Der Geruch ist intensiver als beim erstenmal. Das ist der kupferne Gestank des Todes, die verfaulte Frucht der Gewalt. Ich gieße das Clorox in einen Eimer, trete ins Bad und verdünne die beißende Mischung soweit, daß ich gerade noch atmen kann. Dann gieße ich sie über die trockene Schicht vor der Tür. Die Bleiche kratzt das geronnene Blut kaum an.
Ich mache mich mit dem Mop an der relativ sauberen Stelle an die Arbeit, an der vor einer Stunde noch die tote Kali lag. Als die schwarzrote Masse sich in scharlachrote Wirbel auflöst, schwächt der betäubende Dunst der Chemikalien, der mich bislang umgeben haben muß, sich langsam ab, und die dunklen Geschwister Trauer und Schuld erwachen in meiner Seele zum Leben.
Die Mutter meines einzigen Kindes ist tot.
Die Mitschuld an ihrem Tod liegt mir wie Glassplitter im Magen. Nun, da Kali tot ist, weiß ich wahrscheinlich mehr als jeder andere über den Mann, der sie getötet hat. Aber ich weiß nicht, wie er den Weg hierher gefunden hat. Ich weiß jedoch, daß er ihn nicht gefunden hätte, ja nicht hätte finden können, hätten Miles und ich nicht stümperhaft versucht, ihn zu fassen. Wir waren Narren. Oder Schlimmeres. Irgendwo, vielleicht gar nicht so weit von hier, läuft Brahma um sein Leben. Er ist vielleicht sogar verletzt, versucht, den Fluß von Blut zustillen, das keinen natürlichen Gerinnungsfaktor enthält. Aber sein Schicksal kommt mir jetzt seltsam unbedeutend vor.
Die Mutter meines einzigen Kindes ist tot.
Erins Blut gibt der ätzenden Bleiche langsam nach. Meine Kehle kämpft vergeblich gegen etwas an, das sich wie eine scharfe Pastille anfühlt, die ich nicht schlucken kann, und klebrige Tränen brennen in meinen Augen. Es sind keine heilende Tränen, sondern solche der Selbstverachtung. Meine Mitwirkung dabei, Brahma hierhergelockt zu haben, ist nichts im Vergleich zu dem wirklichen Vergehen. Irgendwo in den dunklen Kammern meines Gehirns hat das kleine und ängstliche Tier, das mein Unterbewußtsein beherrscht, bereits die Zeiten und Entfernungen nachgerechnet und herausgefunden, daß Erin vor ihrem Tod keine Zeit mehr gehabt hat, Patrick die Wahrheit über Holly zu sagen. Hätte sie es getan, wäre er schon längst hier aufgekreuzt. Doch schon bald werden Patrick und Drewe und Bob und Margaret – irgendwann sogar auch Holly – wissen, daß ich durch meine Dummheit einen geistesgestörten Mörder in unsere Inselwelt gelockt habe. Dieses Wissen wird auf ewig ihre Meinung von mir verändern, wie sie auch die verändert hat, die ich selbst von mir habe. Aber sie werden niemals den letzten Knoten in dem wirren Geflecht aus Begierde und Entschlossenheit auflösen können, der Erin an diesem schicksalhaften Abend in dieses Haus geführt hat. Der angsterregende Gedanke, der mich an diesem Nachmittag einen Augenblick lang beherrscht hat – daß nur der Tod sie daran hindern könnte, unser Geheimnis zu verraten –, ist Wirklichkeit geworden. Und während ich hektisch an ihrem Blut schrubbe und versuche, nur ehrliche Trauer über ihr Dahinscheiden zu empfinden, flüstert in meinem Herzen die elende Rattenstimme des menschlichen Instinkts:
Gott sei Dank werden sie es nie erfahren.
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D
as hohe Klingeln, das eine Bildverbindung vom EROS-Hauptquartier ankündigt, genügt vollkommen, um mich nach zwei Stunden, in denen ich ununterbrochen mit Stahlwolle und Clorox Blut weggewischt habe, von den Knien zu holen. Ich schlurfe von der anderen Wand des Büros zum EROS-Computer.
Zuerst ist da nur Nofretete, die sich
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